VfB Stuttgart: Die Zeit der groben Patzer ist vorbei

Von den Punkten her das viertbeste Team der laufenden Saison, hat der VfB Stuttgart auch über das ganze Jahr gesehen die viertmeisten Punkte aller Mannschaften geholt. Spielerisch überzeugen die Schwaben bis jetzt selten, doch Bruno Labbadia hat der Mannschaft Sicherheit zurückgegeben.

Ein Traum für einen Angreifer war das. Etwa zehn Meter vor dem Tor kam Gylfi Thor Sigurdsson freistehend zum Schuss, die Fans in der Mercedes-Benz-Arena hatte schon das nackte Grauen erfasst, weil die Situation todsicher das 0:1 gegen den VfB und für Hoffenheim bedeuten würde. 30 Minuten waren bis dahin gespielt, die Stuttgarter würden den siebten Gegentreffer in der laufenden Saison hinnehmen müssen. Dann schoss Sigurdsson, der Isländer, etwa 15 Meter am Kasten von Sven Ulreich vorbei, der VfB gewann das Spiel etwas glücklich mit 2:0 und hat sich nach neun Spielen erst sechs Gegentore eingefangen. Nach dem FC Bayern und zusammen mit Borussia Mönchengladbach der zweitbeste Wert der Bundesliga.

Die Stabilisierung der Defensive ist mit der wichtigste Grund, weswegen der VfB hinter Bayern, Gladbach und Dortmund derzeit Vierter ist. Labbadia hat es geschafft, dass die Viererkette keine groben Patzer mehr macht wie in der vergangenen Saison. Zurückzuführen ist das auf mehrere Faktoren: Maza, der Neuzugang vom PSV Eindhoven, steht hinten bombensicher und glänzt auch durch weitsichtige Spieleröffnung. Das verleiht auch seinem Nebenmann, dem zweiten Innenverteidiger Serdar Tasci, die längst verloren geglaubte Souveränität (auch wenn Tasci im Spiel gegen Hoffenheim einen mächtigen Bock geschossen hat – diese Leichtsinnsfehler wird er wohl nie zu 100 Prozent abstellen). Auf links haben zunächst Cristian Molinaro und in den letzten Spielen Arthur Boka ordentlich verteidigt und auch nach vorn Bewegung ins Spiel gebracht, und auf der rechten Abwehrseite befindet sich Khalid Boulahrouz derzeit wohl in der Form seines Lebens.

Hinten sicher und vorn schwer auszurechnen

Das alles würde vielleicht gar nicht so besonders viel nützen, würde auf der Position des Sechsers mit William Kvist nicht ein Spieler seinen Dienst verrichten, der so effizient ist, wie der Däne es nun mal ist. Kvist sieht die Löcher im eigenen Defensivverbund, und zwar lang, bevor sie entstehen – dann hilft ihm sein Stellungsspiel, den Passweg des Gegners zuzustellen und seinerseits den Ball im Umschaltspiel zügig nach vorn zu bringen. Das geht meist über Tamas Hajnal, der allerdings ein wenig auf der Suche nach seiner Form ist und, vor der Verletzung des Serben Zdravko Kuzmanovic, nicht oft zum Einsatz kam. Kuzmanovic indes war bis zum siebten Spieltag in solch guter Form, dass es ein wenig verwundert, dass der VfB auch ohne ihn danach beide Spiele gewinnen konnte. Doch bei all jenen Akteuren, die hier genannt wurden, darf einer nicht vergessen werden: Torhüter Sven Ulreich. Schon in der Rückrunde 2010/11 hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass der VfB letztlich doch die Klasse halten konnte. Und Ulreich hat sich weiter stabilisiert, wird seltsamerweise in Stuttgart aber von Medien und Teilen des Publikums zu Unrecht in Frage gestellt.

Nun ist eine sichere Defensive allein aber noch Garant dafür, dass der VfB dort steht, wo er steht. 14 Tore in neun Spielen sind zwar nicht überragend, aber ganz in Ordnung, vor allem wenn die Defensive nicht wackelt. Hinter den Bayern hat der VfB zusammen mit Borussia Dortmund die beste Tordifferenz nach neun Spieltagen. Großes Plus der Schwaben: Sie sind vorne drin sehr schwer auszurechnen, was sich allein schon an der Verteilung der Tore zeigt. Vier Tore von Martin Harnik, je drei von Cacau und Shinji Okazaki, jeweils ein Tor erzielen konnten Khalid Boulahrouz, Serdar Tasci, Zdravko Kuzmanovic und Pawel Pogrebnyak. Sieben Schützen bei 14 Treffern, für den Gegner ist das unberechenbar.

Der VfB ist taktisch flexibel

Das größte Verdienst von Bruno Labbadia aber dürfte sein, dass die Mannschaft taktisch inzwischen sehr variabel ist. Zu Beginn der Saison ließ der Coach ein 4-2-3-1 spielen und hatte damit Erfolg. Jetzt stellte er, zunächst in Kaiserslautern und dann gegen Hoffenheim, auf ein 4-4-2 um – und fuhr damit sechs Punkte und 4:0 Tore ein. In diesem System waren gegen die Badener aus Hoffenheim fünf Spieler offensiv ausgerichtet: Cacau, Pogrebnyak, Okazaki, Harnik und Hajnal, wobei der Ungar sich die Bälle oft tief in der eigenen Hälfte abholte – bevor es überfallartig nach vorn ging. Durch Hajnals Geschick, sich recht unauffällig tiefer zu stellen, hatten die Stuttgarter spätestens in der zweiten Halbzeit die entscheidenden Überzahlsituationen im defensiven Mittelfeld, was zur Folge hatte, dass die Räume für die Hoffenheimer viel zu eng wurden.

Wenn die Stuttgarter Spieler sich nun auch noch davon überzeugen lassen, dass sie schwer zu schlagen sind (und das sind sie), dann wird der VfB, wie man es von ihm eigentlich gewohnt ist, auch spielerisch bald wieder glänzen können. Die Ansätze dazu sind da, was man besonders bei den Spielen gegen Schalke und Hannover – jeweils 3:0 – schon gut beobachten konnte. Doch die Überzeugung wird nur dann greifen, wenn sie in Stuttgart nicht gleich nach den ersten Rückschlägen ungeduldig werden. Doch sind Publikum und Medienlandschaft in der Schwabenmetropole genau dafür bekannt – für ihre Ungeduld mit dem VfB Stuttgart.