Probleme vorn, Probleme hinten

Der Hamburger SV steckte in der Hinrunde lange im Abstiegskampf fest, konnte sich dann aber aus dem Keller der Tabelle lösen. Doch mit falschen taktischen Entscheidungen des Trainers und seltsamem Ballbesitzfußball ist die Abstiegszone für den HSV in den letzten Wochen wieder deutlich näher gerückt.

Es klang wie ein Satz, den sie sonst eigentlich nur beim SC Freiburg hören. „Ich fand eigentlich, dass der HSV über das gesamte Spiel die bessere Mannschaft war“, wurde Huub Stevens, der Trainer des FC Schalke 04, noch am Abend nach der Hamburger 1:3-Niederlage in Gelsenkirchen auf der Homepage der „Hamburger Morgenpost“ zitiert. Doch ob nun am südlichsten (Freiburg) oder am nördlichsten (Hamburg) Bundesligastandort oder sonstwo in der Fußball-Republik Deutschland, es bleibt ein Satz, den keiner gern hört. Weil darin leise, aber unüberhörbar mitschwingt, dass die so gelobte Mannschaft verloren hat.

1:3 gegen Bremen, 1:1 in Mönchengladbach, 0:4 gegen Stuttgart und nun 1:3 auf Schalke, das sind die Ergebnisse der letzten vier Hamburger Bundesligaauftritte. Nachdem der HSV einen Gutteil der Vorrunde unten drin hing und sich zwischenzeitlich schon nach oben orientierte, rückt die Abstiegszone nun wieder bedrohlich nahe. Die Mannschaft schien sich gefangen zu haben, doch nun offenbart sich mehr und mehr, dass von einer vorzeitigen Rettung (noch) nicht die Rede sein kann. Und es sind nicht nur die blanken Ergebnisse, die nachdenklich stimmen. Auch fußballerisch blieb der so genannte „Bundesliga-Dino“ zuletzt nicht nur vieles schuldig. Gerade, weil die Hamburger gegen Bremen, Mönchengladbach und Schalke im Prinzip mehr vom Spiel hatten, muss die Frage erlaubt sein, ob die Taktik von Trainer Thorsten Fink, die auf Ballbesitz und Spielbestimmung ausgerichtet ist, nicht vielleicht die falsche ist für den Hamburger Sportverein.

Optische Überlegenheit nützt nichts

Wobei es auch dafür eine Gegenfrage gibt: Warum ging Hamburg gegen den VfB Stuttgart dann so ganz anders, so passiv zu Werke? Gut, vielleicht war das einer dieser rabenschwarzen Tage, die es nun einmal gibt. Doch trotz höherer Spielanteile sprang auch in den anderen drei Partien nur ein kümmerlicher Punkt heraus. So nützte etwa die optische Überlegenheit gegen Bremen und Schalke rein gar nichts. In beiden Partien rannten die Hamburger recht unkreativ gegen das Tor des Gegners an, was allerdings jeweils nur einen eigenen Treffer generierte. Damit dieses eine Tor etwas Zählbares einbringt, müsste zumindest die Abwehr funktionieren. Das jedoch ist derzeit beileibe nicht der Fall. HSV-Kapitän und Abwehrchef Heiko Westermann war ein Totalausfall auf Schalke, gegen den VfB verschuldete Abwehrmann Slobodan Rajkovic allein drei Gegentore (wobei er zwei Elfmeter für die Schwaben verursachte). Auch Westermann scheint seit Wochen komplett außer Form zu sein. Warum setzt Fink dennoch immer auf ihn?

Man muss es klar sagen: Ohne den Torhüter Jaroslav Drobny hätte der HSV die letzten Spiele allesamt noch viel höher verloren. Das Offensivspiel, das schon vorher hinkte,  ist seit Guerreros Platzverweis aus dem Stuttgart-Spiel noch durchsichtiger geworden, und der Peruaner wird dem HSV aufgrund seiner acht Spiele Sperre erst am vorletzten Spieltag wieder zur Verfügung stehen. Zudem wechselte Fink in den vier erwähnten Partien jedes Mal die Grundformation: zwei Stürmer gegen Bremen, einer gegen Gladbach, zwei gegen Stuttgart und wieder nur einer gegen Schalke. Automatismen können damit in einer solch entscheidenden Saisonphase kaum greifen, und weil die Spieler während der Partie auf Schalke offenbar innerlich zu sehr damit beschäftigt waren, sich den Kopf über ihr Angriffsspiel zu zerbrechen, vergaßen sie, gut zu verteidigen. Mehrere Male sah sich Drobny Eins-zu-Eins-Situationen gegen einen Schalker gegenüber. Wäre Drobny nicht in der Form, in der er ist, ein 1:5 wäre kein Wunder gewesen.

Ist Westermann einfach überspielt?

Erfahrene Haudegen wie Marcell Jansen, Gojko Kacar oder Mladen Petric (im Spiel gegen Stuttgart auch David Jarolim und eben Paolo Guerrero) können der Mannschaft zurzeit nicht helfen, sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Thorsten Fink hat jedoch kaum Möglichkeiten, er muss auch die formschwachen Spieler aufstellen, weil in der zweiten Reihe fast nur Jungspunde sitzen, die im Abstiegskampf womöglich zu wenig Erfahrung haben. Doch in der Abwehr wird er umstellen müssen: Westermann hat gegen Schalke seine fünfte gelbe Karte gesehen und ist damit gesperrt. Vielleicht tut dem Innenverteidiger die Denkpause ja ganz gut. Seit er im Sommer 2010 zum HSV kam, hat er in jedem der 58 Bundesligaspiele mitgewirkt. Gut möglich, dass Westermann einfach etwas überspielt ist.

Er wird dann von draußen beobachten können, ob Fink bei seiner Taktik bleibt, dass mehr Ballbesitz auch die Chancen auf mehr eigene Tore bedeutet, oder ob er versucht, so etwas wie eine Kontertaktik zu installieren. Doch ohne Guerrero? Fink fehlen schlicht die Spieler, um schnellen Umschaltfußball spielen zu lassen. Doch wie auch immer das nächste Spiel ausgeht – der Gewinner wird vermutlich sagen, dass der Gegner „eigentlich die bessere Mannschaft“ war. Der HSV trifft nämlich auf den SC Freiburg. Alles andere als ein Heimsieg würde die Hamburger Sorgen vergrößern und Thorsten Fink wohl noch ein wenig mehr in die Bredouille bringen.