Hannover 96 – längst kein Wunder mehr

Dass nur der Zufall Hannover 96 in den letzten Jahren nach oben gespült hat, glauben auch nur noch Menschen, die an den Weihnachtsmann glauben und an den Weltuntergang Ende des Jahres oder daran, dass der Storch die Kinder bringt. In Wahrheit steckt ein guter Plan hinter dem Erfolg. Vor allem werden in der niedersächsischen Hauptstadt die persönlichen Eitelkeiten hintangestellt.

Es war ja eine Szene, über die wieder einmal herzlich gern diskutiert werden durfte am dritten Bundesliga-Spieltag. Gelb-Rot für einen Torjubel, der Trikotausziehen (gelb) und Auf-den-Zaun-klettern (noch einmal gelb) beinhaltete. Hannovers Siegtorschütze Szabolcs Huszti drosch erst eine Flanke per Scherenschlag in der Nachspielzeit ins Bremer Tor, dann entblößte er sich obenrum, um schließlich auf den Zaun vor der Fankurve zu springen. Schiedsrichter Aytekin zeigte unter langen Erklärungen, warum er so handeln müsse und nicht anders, Huszti gelb, dann nochmals gelb und schließlich rot. Huszti wird seiner Mannschaft in Hoffenheim fehlen, das ist sicher. Denn gegen Bremen flog der Mittelfeldmann nicht nur vom Platz. Er erzielte zwei Treffer selbst und bereitete Andreasens Tor auch noch persönlich vor. Und in der Vorwoche, beim 4:0 in Wolfsburg, gelangen Huszti gar vier direkte Assists.

Dennoch wäre man inzwischen kaum überrascht, wenn Hannover 96 bei den weiter kriselnden Hoffenheimern bestehen würde – auch ganz ohne Sieben-Scorerpunkte-Mann Huszti. Zu gefestigt wirkt das Team von Mirko Slomka, und die Transfers von Trainer Slomka und Manager Schmadtke werden in Feinabstimmung getätigt. Und das, obwohl man aus Hannover oft hört, dass die beiden gar nicht miteinander können. Doch die persönlichen Eitelkeiten werden offenbar runtergeschluckt, was sich auf eine Mannschaft durchaus übertragen kann.

Das Team ist taktisch variabler geworden, auch dank Huszti

Aus taktischer Sicht hat sich am Maschsee kaum etwas geändert, Slomkas Absicht ist es immer noch, schnelle Tore nach Ballgewinn zu schießen. Allerdings ist das Repertoire der Hannoveraner durch die Rückkehr von Huszti (von 2009 bis 2012 bei Zenit St. Petersburg) deutlich größer geworden, das Spiel ist ungemein variabel, und auch Standards bringen Tore. In Abdellaoue, Diouf, Schlaudraff, Sobiech und Ya Konan verfügt 96 über fünf Stürmer, die ein Spiel an einem guten Tag ganz allein entscheiden können.

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Allerdings sind die Hannoveraner noch nicht dazu in der Lage, einen Gegner auch über 90 Minuten klar zu beherrschen, wie man gegen Bremen sehen konnte. Und auch beim ansonsten überzeugenden 4:0 in Wolfsburg in der Vorwoche gab es Situationen, in denen ein Tor für die Gastgeber in der Luft gelegen hatte – und wie schnell manche Spiele kippen können, weiß jeder, der sich im Fußball auskennt. Gegen Werder hatten die 96er in der Schlussphase mehrere bange Momente zu überstehen, als Treffer von Sokratis in der 82. Minute und Lukimya nur eine Minute danach nicht anerkannt wurden. Und in der 86. Minute musste Hannovers Torwart Zieler gegen Arnautovic sein ganzes Können aufbieten, um einen Rückstand und damit eine wahrscheinliche Niederlage noch abzuwenden.

96 ist cool, abgebrügt und clever

Als die Druckphase der Bremer nachgelassen hatte,  zeigten sich die wohl größten Stärken, die Slomka seiner Mannschaft in den letzten Jahren eingeimpft hat: Coolness, Abgebrühtheit und Cleverness vor dem Tor. Diese Eigenschaften sind es, die Hannover so gefährlich machen und die dafür sorgen könnten, dass es in dieser Saison noch höher hinausgeht als auf den siebten Platz, auf dem die Vorsaison abgeschlossen wurde. Zudem dürfte die gestiegene Variabilität im Team dafür sorgen, dass die Gegner noch größere Probleme bekommen, als das zurzeit schon der Fall ist. In den letzten beiden Spielzeiten genügte es meist noch, bei Ballverlust möglichst kompakt zu stehen und schnell nach hinten zu eilen, um die Räume eng zu machen, damit das Hannoveraner Konterspiel eingedämmt werden konnte. In dieser Saison ist Slomkas Team, nicht zuletzt auch dank Huszti, wie oben beschrieben wesentlich unberechenbarer geworden.

Dennoch ist nicht gesagt, dass alles so kommt, wie es zurzeit aussieht. Im letzten Jahr hat Hannover die ungewohnte Belastung, die durch die Spiele in der Europa League dazugekommen war, hervorragend weggesteckt. Der Mannschaft war anzumerken, dass da eine Menge Euphorie im Spiel war, die sich von Partie zu Partie steigerte, denn schnell war klar, dass 96 auch in Europa bestehen können würde. Diese Euphorie hatte sich dann auch auf die Bundesliga übertragen. Was aber, wenn die internationale Luft die Hannoveraner in dieser Saison nicht auf Wolke sieben trägt, wenn Spiele in der Gruppenphase verloren gehen und die Euphorie verblasst? Könnte sich das dann auch auf die Liga auswirken? Rechnen muss man mit so etwas immer, doch müssten wir eine Prognose abgeben, würde sie lauten: Hannover überwintert in der Europa League und wird auch in der Bundesliga mit oben dabei sein, die Gründe dafür wurden ja schon genannt.