Borussia Dortmund: Mehr als nur eine Ergebniskrise?

Fußball, das sei ein Ergebnissport, hört man zurzeit landauf, landab die Cheftrainer in der Bundesliga sagen. Wenn die Resultate ausbleiben, wird darum nun oft von einer „Ergebniskrise“ gesprochen. Ist das das Symptom des Deutschen Meisters aus Dortmund – oder geht die Krise noch viel tiefer?

3:1 gegen den HSV. 0:1 in Hoffenheim. 2:0 gegen Nürnberg. Dann ein 0:0 in Leverkusen, kein wirklich meisterlicher Start, aber auch kein schlechter für Borussia Dortmund – aber dann: 1:2 gegen Hertha BSC, und schließ- und endlich ein 1:2 bei Hannover 96, nach einer 1:0-Führung, die immerhin bis zur 87. Minute Bestand hatte. Es war eines dieser seltsamen Spiele, Dortmund drückte und hatte durch Hummels, Lewandowski, Blaszczykowski, Perisic und Gündogan allein in der ersten Halbzeit ausreichend Torchancen, um vielleicht sogar zwei Spiele damit zu gewinnen. Als die Borussia dann in der zweiten Hälfte genauso weiter spielte und in der 63. Minute endlich durch Kagawa in Führung ging, dachte wohl jeder Beobachter: Okay, das Spiel ist gelaufen. Dortmund war am Drücker, und schließlich hatte das Team von Jürgen Klopp fünf Tage zuvor Arsenal an die Wand gespielt und mit eisernem Willen zwei Minuten vor Schluss noch den mehr als verdienten Ausgleich zum 1:1 geschafft. Was dann jedoch in Hannover geschah nach dieser 63. Minute, gibt wohl nicht nur Klopp einige Rätsel auf.

Dortmund begann, sich zurückzuziehen, plötzlich war trotz der Führung alles Selbstvertrauen wie weggeblasen. Es wirkte so, als hätte Goliath gemerkt, dass David noch nicht gänzlich am Ende ist, mit schnellen Kontern wollte Dortmund den Niedersachsen dann den Gnadenstoß verpassen, allein: der Plan misslang völlig. An einem neuralgischen Punkt einer Partie, nach dem Führungstor, hätte die Borussia der Vorsaison erst recht weiter nach vorn gespielt und die Entscheidung gesucht. Haderten die Dortmunder mit ihrer Chancenverwertung, die schon in den Spielen zuvor eklatant schlecht war, insbesondere gegen Arsenal? Wenn man bedenkt, dass schon in der Meistersaison ausgerechnet Dortmund die meisten Großchancen liegen ließ, ist das gar nicht so unwahrscheinlich. Darum stellt sich die Frage, ob es fair ist, die aktuelle Krise des Vorjahreschampions an Personen festzumachen – Top-Torjäger Lucas Barrios hatte im Vorjahr auch viele vergebene Chancen zu verzeichnen, traf aber zuverlässig immer dann, wenn es nötig war. Das ist eine Qualität, die den anderen Offensivspielern – allen voran Robert Lewandowski und Mohamed Zidan – definitiv abgeht. Auch Shinji Kagawa und Mario Götze lassen Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor derzeit vermissen.

Das Fußballspielen hat keiner verlernt in Dortmund

Viel interessanter als diese Erörterungen ist jedoch die Frage, warum eine in sich ziemlich gefestigte Mannschaft, die in der Champions League mehr als nur gut mitgehalten hatte ein paar Tage zuvor, nach einer Stunde und dem Führungstreffer Angst vor der eigenen Courage bekommt; das Fußballspielen jedenfalls verlernt ja keiner von einer Minute auf die andere. Sicher, jene Leichtigkeit, die die Dortmunder durch die letzte Saison getragen hat, ist auf einmal nicht mehr da, aber das müssen sie bei der Borussia vorher gewusst haben. Plötzlich hat die Borussia etwas zu verlieren. Ging letzte Saison ausnahmsweise mal ein Spiel in die Binsen, dann hatte Klopps Credo immer Gültigkeit – jenes Credo, demzufolge man „von Spiel zu Spiel“ denke. Damit haben die Dortmunder damals die Kurve immer wieder gekriegt. Nun sieht es so aus, als sei diese Klopp’sche Maxime nicht länger das Gebot der Stunde, auch wenn er sie seinen Spielern immer und immer wieder einbimst.

Die Spieler verkrampfen

Dortmund hat etwas zu verlieren. In der Champions League wollen sie als Deutscher Meister natürlich weiterkommen, alles andere wäre für die Fans eine Riesenenttäuschung – das erhöht den Druck auf die Spieler. Ein Druck, den sie nicht kennen, letzte Saison gab es keinen Druck. Und in der Bundesliga sieht es genauso aus. Der Meister liegt nur auf Platz elf, schon acht Punkte hinter den Bayern und immerhin drei Punkte hinter Platz sechs, der wenigstens die Teilnahme an der Europa League bedeutet. Die Dortmunder haben stets betont, dass der Kader auch ohne den zu Real Madrid gewechselten Nuri Sahin mindestens ebenso stark sei wie der Kader des Vorjahres, daran müssen sie sich messen lassen. Und es stimmt ja: der Kader ist gleich stark. Die Spieler wissen das, und genau deswegen verkrampfen sie mehr und mehr, weil sie ins Grübeln kommen, wenn es auf einmal nicht mehr so gut läuft. Es sind dies die typischen Phänomene, die der VfB Stuttgart und der VfL Wolfsburg in den Jahren nach deren Meisterschaften 2007 und 2009 ebenfalls durchliefen.

Momentan ist es nur eine Ergebniskrise in Dortmund. Doch wenn die Borussia nicht die mentale Stärke hat, die ihr nach wie vor zuzutrauen wäre, wenn sie anfängt, sich nicht erst nach 63, sondern nach 33 Minuten zu verstecken, wenn sie weiterhin klarste Tormöglichkeiten vergibt und noch mehr ins Grübeln kommt, dann wird aus der Ergebniskrise schnell eine Schaffenskrise. Es sei denn, die Dortmunder schaffen es, schnell wieder Klopps Vorgabe zu folgen – und einfach immer nur an das nächste Spiel zu denken. Alles andere hat im Fußball sowieso selten zu etwas Gutem geführt.