Die SpoWi-Ecke: Der Zufall im Fußballsport

Der ehemalige italienische Nationalspieler Gigi Riva stellte einst fest, dass „der Zufall die eigentliche Größe im Fußball“ darstellt. Diverse Studien belegen diesen Zusammenhang bei Ergebnissen bzw. Tabellen (Quitzau, Kirschling, Heuer & Rubner etc.) sowie bei der Entstehung von Toren (Lames).

Die vorliegende Studie von Roland Loy beschäftigt sich hingegen mit sämtlichen zufälligen Geschehnissen während der 90 Minuten auf dem grünen Rasen. Hierbei wurde eine systematische Beobachtung von zehn Spielen ab dem Achtelfinale der Champions-League-Saison 2010/11 vorgenommen, um möglichst hochklassige und damit zufallsferne Konstellationen zu untersuchen. Es waren ausschließlich Teams aus Deutschland, Spanien, England, Italien und Frankreich beteiligt.

Zufall ist eine unvorhergesehene Spielsituation

Loy definiert den Zufall hierbei als „unvorhergesehenes (z.B. wenn dem Torschützen der Ball nach einem Abpraller unabsehbar vor die Füße fällt), nicht zu erwartendes (z.B. wenn einem Weltklassespieler mit einem unbedrängten Kurzpass über fünf Meter innerhalb der einen Spielfeldhälfte ein fehlerhaftes Abspiel unterläuft) Ereignis, bei (z.B. wenn der Ball beim Dribbling in Folge einer Unebenheit des Platzes verspringt) bzw. in dessen Folge (z.B. wenn die Ausfühung eines langen Abstoßes oder eines hoch vor das gegnerische Tor geschlagenen Eckballs die Aufgabe der sicheren Ballkontrolle bedeutet) eine Plan-/Kontrollierbarkeit des Spielgeschehens nicht mehr gegeben ist“ (Loy 2012).

Während Lames beispielsweise 1999 feststellte, dass von 920 Toren aus sieben europäischen höchsten Ligen 46,6% der Treffer zufallsbedingt fielen, wollte Roy diesen Befund nun nicht mehr nur auf den Torabschluss untersuchen, sondern auch auf die sämtlichen anderen Situationen auf dem Spielfeld.

Zufall im Fußballsport, Ergebnisse

In den zehn untersuchten Partien verzeichnete Loy definitionsgemäß insgesamt 4.338 zufällige Ereignisse, also durchschnittlich fast 434 Zufallsaktionen pro Spiel! 35% aller Ballkontakte resultierten aus einem Zufallseinfluss, also war der Zufall alle 2,9 Ballberührungen im Spiel – jeder dritte Ballkontakt in diesen zehn Partien resultierte aus einer Zufallsaktion.
Zeitlich gesehen war alle 8,3 Sekunden ein zufälliges Ereignis zu verzeichnen, in den letzten 15 Spielminuten sogar signifikant öfter.

In 91% der vorgetragenen Angriffe waren zufällige Ereignisse beteiligt. Das bedeutet, dass lediglich 9% der Angriffe „wie geplant“ abliefen, also beispielweise eine eintrainierte Kombination wie gewünscht umgesetzt werden konnte. Während in der eigenen Hälfte „nur“ 30,7% der Ballkontakte zufallsverknüpft waren, so lag dieser Wert in der gegnerischen Hälfte gar bei 39,6%, was aufgrund der zunehmenden Kompaktheit gegnerischer Defensivarbeit und daraus resultierendem Druck auch nicht verwundern muss.

Zufall im Fußballsport, Fazit

Loy belegt mit den zehn Untersuchten CL-Partien eindrucksvoll die große Rolle des Zufalls im Fußball. Nicht umsonst versuchen Trainer wie Pep Guardiola oder Louis von Gaal seit Jahren durch ballbesitzorientierten Fußball mit der Vermeidung von weiten Abstößen, langen Bällen, Eckbällen oder Zweikämpfen den Einfluss des Zufalls im Angriffsspiel zu minimieren. Stattdessen wird versucht mit Kombinationen über wenige Meter, kurz ausgeführte Ecken etc., selbst zu bestimmen wie die Situation abläuft und nicht auf die Karte Zufall zu setzen.

Die Kontrolle über den Ausgang der Partie oder gar der Spielsituation zu besitzen, scheint allerdings angesichts der Resultate zumeist ein Trugschluss zu sein. Im Laufe einer Saison können sich die zufallsbedingten Ereignisse gegenseitig aufrechnen, aber oftmals entscheidet sich das Schicksal der Mannschaft bzw. des Trainers in einem Spiel – und diese hängt eben genau von diesem letzten Angriff ab, bei dem der Ball verspringt oder durch einen hohen Ball zufällig diesem oder jenem vor die Füße fällt.

Für die Trainingspraxis deuten die Resultate darauf hin, dass einstudierte Spielzüge im Fußball nur eine geringe Auftretenswahrscheinlichkeit und daher nur dürftige Berechtigung im Training besitzen. Stattdessen sollten Einflussfaktoren wie die gezielte Schaffung offener Situationen, bei denen die Umschaltfähigkeit, das Reaktionsvermögen und die Wahrnehmungsfähigkeit geschult werden, vermehrt eingebaut werden. Spielformen, in denen Spieler immer wieder vor neue Herausforderungen und stetig wechselnde Bedingungen und Situationen gestellt werden scheinen für den zufallsgesteuerten Fußballsport deutlich zweckmäßiger geeignet.

Von Dominik Langenegger