Ein Club in Nöten

Nach dem Erfolg in der Saison 2010/11, den vielen Abgängen im Sommer und dem verflixten zweiten Jahr für die Talente droht dem 1. FC Nürnberg eine äußerst schwierige Spielzeit.

Die Liste der Spieler, die den Verein aus der mittelfränkischen Metropole in diesem Sommer verlassen haben, ist lang und mit klangvollen Namen versehen. Abwehrchef Andreas Wolf wechselte zu Werder Bremen genauso wie Mehmet Ekici; Stürmer Julian Schieber kehrte zum VfB Stuttgart zurück; Ilkay Gündogan zog es als Ersatz für Nuri Sahin zum BVB. Und auch Pascal Bieler und Marek Mintal haben dem 1. FC Nürnberg den Rücken gekehrt – Bieler wechselte nach Wiesbaden und Mintal versucht sich nun bei Hansa Rostock im Sturm. Das eigentlich Dramatische für den Club ist nicht, dass es die großen Namen sind, die nun nicht mehr für die Franken auflaufen. Es sind die Leistungsträger, die weg sind; jene Spieler, die den absolut entscheidenden Anteil daran hatten, dass Nürnberg letztes Jahr eine hervorragende Saison spielte und am Ende auf Platz sechs landete.

Sicher, die Nürnberger oder besser gesagt Trainer Dieter Hecking und Sportdirektor Martin Bader haben auch ein paar Spieler verpflichten können. Daniel Didavi kommt wie im Vorjahr Julian Schieber als Ein-Jahres-Ausleihe vom VfB Stuttgart, Markus Feulner aus Dortmund (wo er in zwei Jahren selten gespielt hat) und Tomas Pekhart von Sparta Prag. Dazu ein paar so gut wie Unbekannte, was die Frage aufwirft, wer um alles in der Welt die Lücken füllen soll, die Ekici, Gündogan, Schieber und Wolf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hinterlassen werden.

Eine prima Vorbereitung, aber die zählt bald nicht mehr

In der Vorbereitung war zwar nichts davon zu merken, in sechs Spielen siegte der Club fünf Mal und hielt, nach einem 0:0 nach 90 Minuten, den spanischen Erstligisten Racing Santander immerhin im Elfmeterschießen nieder. Gar nicht übel. Doch dürften gerade die Spanier in der Vorbereitung noch mindestens drei Wochen Rückstand gehabt haben. Und auch die anderen Sparringspartner waren keine schweren Kaliber. Gegen den österreichischen Fünftligisten gab es ein 6:0 (Stuttgart etwa besiegte den gleichen Gegner ein paar Tage danach mit 14:0), die Bayernligisten von Eintracht Bamberg wurden mit 4:0 bezwungen und die schwäbisch-bayrischen Bezirksoberligisten mit 11:1. Ein Ausreißer nach oben war sicher das 2:0 gegen Ajax Amsterdam, das 2:1 gegen Slovan Liberec hingegen schon eher selbstverständlich.

Doch wenn es ernst wird, wenn er in der Bundesliga bald knallhart um Punkte geht, wird ein anderer Wind wehen als im Testspiel, und gerade die eingespielte Achse Wolf – Ekici/Gündogan – Schieber dürfte den Nürnbergern an allen Ecken und Enden fehlen. Wolf als kompromissloser Verteidiger, der letzte Saison obendrein drei Tore schoss und eines auflegte; Ekici als Mittelfeldarbeiter (drei Tore, neun Vorlagen letzte Spielzeit); Gündogan als Herzstück des fränkischen Spiels mit fünf Toren und drei Assists 2010/11; und schließlich Julian Schieber als Sturmtank, der vergangene Saison sieben Mal traf und acht Mal servierte. Macht zusammen einen Verlust von 18 Toren und 21 direkten Torvorlagen. Wenn sie die Nachfolger der Abtrünnigen nicht mächtig ins Zeug legen, um diese Quote auch nur annähernd zu erreichen, muss man kein Prophet sein, um zu konstatieren, dass es für den Club schwer werden wird. Sehr schwer vielleicht sogar.

Wiederholt sich die Geschichte?

Denn schon in der letzten Saison war es nicht die Torausbeute, die dafür sorgte, dass Nürnberg Sechster wurde. Es war eher die Abwehr. Mit einem Torverhältnis von 47:45 und einer prima Effizienz schafften es Heckings Schützlinge, sich relativ weit oben zu platzieren. Bei nur sieben bis zehn weniger erzielten Treffern wäre es schon letztes Jahr eng geworden: Schalke und Wolfsburg lagen mit Tordifferenzen von minus sechs bzw. minus fünf nur unmittelbar über dem ominösen Strich. Wenn dann noch ein paar Gegentore mehr hinzukämen, ausgelöst durch den Weggang von Andreas Wolf, bekommen die „Clubberer“ ernsthafte Probleme.

Die sollen hier nun natürlich nicht herbeigeschrieben werden, keine Frage. Aber warum man in Nürnberg sehenden Auges die Besten gehen lässt und nicht bereit zu sein scheint, die Lücken zu stopfen, leuchtet eben nicht zwingend ein. Von Trainer Hecking indes hört man keine Klagen diesbezüglich, womöglich hat er auch keinen Grund dazu. Hecking ist mit absoluter Sicherheit ein klasse Trainer, allerdings weiß wohl auch er nur zu gut, welche Probleme so ein sorgenfreies Jahr wie das letzte bei einem Verein auslösen kann, wenn der zu Saisonbeginn ein paar Mal vielleicht nicht gewinnt.

Nachzufragen bei seinen Vorgängern am Valznerweiher. 2007 wurde Nürnberg Pokalsieger und beendete die Bundesliga auf Platz Sechs, wie auch vier Jahre später wieder. Dann, 2007/08, holte der Club aus den ersten neun Spielen gerade einmal sechs Punkte und befand sich auf dem vorletzten Platz – so richtig erholen konnten sich die Clubberer nicht mehr von dem Fehlstart. In der Rückrunde wurde Hans Meyer dann von Thomas von Heesen ersetzt, was schlussendlich auch nichts mehr half – der Club stieg nach einer erfolgreichen Vorsaison und als Pokalsieger ab. Damit ist der 1. FC Nürnberg wohl der mit Abstand gefährdetste Club nach einer guten Vorsaison. Denn er ist auch der einzige deutsche Verein, der als amtierender Deutscher Meister abstieg. Das ist zwar lange her (1968/69), doch allzu sicher sollten sie sich beim Club nicht sein, dass sich die Geschichte nicht doch ab und an irgendwie wiederholt. Denn wie sagen die Nürnberger Fans gern über die eigene Mannschaft? Richtig: „Der Glubb is a Depp.“ Bliebe in ihrem Sinne zu hoffen, dass sie nicht Recht behalten.