Ein tolles Spitzenspiel

Um eins festzuhalten: Es ist in diesem Spiel nicht um die Meisterschaft gegangen. Konnte es auch nicht. Dass die Bayern nach dem 3:0 in Mainz schon am Samstag zum Gewinner geworden sind, wurde auch durch das Frankfurter 2:0 beim HSV nicht konterkariert. Apropos Frankfurt: Die Eintracht ist bis auf einen Zählen an Leverkusen herangerückt. Drei Teams kämpfen um die Plätze zwei und drei und damit um die direkte Qualifikation zur Champions League – und das Duell in Leverkusen war genau das, ein Spiel um die Platzierungen hinter dem FC Bayern München. Dass dieses trotz des Drucks und trotz aller taktischen Kniffe und Finessen der Trainer auf beiden Seiten so rasant werden würde, hat wohl die meisten Beobachter angenehm überrascht. Doch der Reihe nach.

Leverkusen trat im 4-5-1 an, Kießling bildete die einzige Spitze, hinter der Castro und Schürrle agierten, dahinter spielte die Dreifachsechs aus Rolfes, Lars Bender und Reinartz vor der (inzwischen) etablierten Viererkette aus Carvajal, Wollscheid, Toprak und Boenisch. Jürgen Klopp hielt mit dem gewohnten 4-2-3-1 auch am bewährten Personal fest, Sven Bender agierte dieses Mal neben Ilkay Gündogan auf der Doppelsechs und Felipe Santana vertrat den weiterhin verletzten Neven Subotic. Was beim BvB auffiel: Mario Götze agierte sehr viel defensiver als gewöhnlich, von dort setzte er stattdessen die oft nach vorne stürmenden Außenverteidiger Piszczek und Schmelzer in Szene, die in die freien Räume vorstießen. Die Dortmunder versuchten sich von Beginn weg im Gegenpressing, das 1:0 aus Gästesicht in der dritten Minute fiel, als Sven Benders Einsatz im Mittelfeld zu Robert Lewandowski sprang, der fein auf den in die Gasse startenden Reus servierte.

Die richtige taktische Schlussfolgerung

Das hatte eins zur Folge: Dortmund presste nun noch höher, als man das eh gewöhnt ist. Alle Reihen der Gäste verschoben nach vorn, Lücken für Leverkusener Kombinationen entstanden so nicht, im Gegenteil. Nach einem erzwungenen Ballverlust der Hausherren bediente Gündogan Lewandowski, der im Strafraum gefoult wurde. Jakub Blaszczykowski verwandelte den – wohl berechtigen – Elfmeter bereits in der achten Minute zum 0:2. Für die Gastgeber war das bitter, weil Bayer 04 noch gar nicht richtig im Spiel war und schon mit zwei Toren hinten lag. In den 20 bis 30 Minuten nach dem Elfmeter perfektionierten die Dortmunder zunächst ihr Pressing, Leverkusen konnte sich weiterhin nicht nach vorn entfalten, zu eng war es im Mittelfeld geworden. Doch konnte das Team von Sascha Lewandowski nach und nach die richtigen taktischen Schlüsse aus der Dortmunder Vorwärtsverteidigung ziehen.

Kartotheken für das Fußballtraining

Und so sahen diese Schlüsse aus: nicht mehr flach kombinieren, sondern mit halblangen und langen Bällen oft und schnell die Seite wechseln. Ein einfaches Mittel, das die Dortmunder aber zunehmend irritierte. Deren Verbund schloss sich nämlich bei gegnerischem Ballbesitz immer so zügig in Richtung des Balls, dass auf mindestens einem Flügel Räume entstehen mussten. In dieser Phase konnte Dortmund nur noch reagieren, doch die meisten Angriffe von Bayer wurden entweder ungenau vorgetragen, von Dortmunds Viererkette ins Abseits gestellt oder zu überhastet abgeschlossen. Konnte der BvB die Begegnung bis zur Halbzeit trotzdem noch relativ offen gestalten und einige Konter setzen, so änderte sich das nach der Pause mit einem Schlag. Leverkusen brachte Sidney Sam für den blassen Rolfes und beorderte Castro auf die Rolfes-Position, während Sam auf die Außenbahn rückte. Auch Carvajal, der rechts hinter Sam spielte, schaltete sich nun öfter ein, während auf der linken Seite Boenisch immer häufiger marschierte und Schürrle unterstützte. Vor allem Sam bereitete den Dortmundern mit seiner Technik, seinem Auge und der Wendigkeit schon bald enorme Probleme. Zunächst schlug Leverkusen zwar kein Kapital aus der Dominanz, glich dann durch Reinartz‘ Doppelschlag in der 58. und in der 62. Minute blitzschnell aus. Da war die Dortmunder Defensive nicht auf der Höhe, was auch damit zusammenhing, dass Klopp kurz zuvor ebenfalls auf ein 4-5-1 umgestellt hatte und Blaszczykowski als zusätzlichen Sechser in die Mitte beorderte, damit Reus und Götze Platz auf den Flügeln bekommen sollten.

Leverkusen zollt Tribut

Mit dem direkten Gegenzug ging der BvB in der 63. Minute aber aus heiterem Himmel wieder in Führung, als das Bayer-Team offenbar noch euphorisiert war vom raschen Ausgleich. Von nun an übernahmen die Gäste erneut das Kommando, die Umstellung auf das neue System zeigte ebenfalls Wirkung: Leverkusen wurde meist weit weg gehalten vom Tor der Dortmunder. Mit dem Elfmeter in der 69. Minute hätte Blaszczykowski dann die relativ sichere Entscheidung herbeiführen können, doch seinen schwachen Schuss parierte Bernd Leno. Doch fand Bayer nicht mehr zurück zu jener Stärke und jener Gefährlichkeit, die die Mannschaft vor dem Anschlusstreffer bzw. dem Ausgleich gezeigt hatte. Ein Grund für die nachlassenden Hausherren lag mit Sicherheit darin, dass sie ihrem laufintensiven Spiel nun gehörig Tribut zollen mussten. Zwar musste Dortmund insgesamt die meisten Torschüsse dieser Saison zulassen (27 an der Zahl, mehr als in den Spielen in München und Madrid), doch gegen Ende waren die Gäste dem 4:2 näher als Bayer dem Ausgleich.

Sollte Bayer diese Leistung bestätigen können, dürfte man zumindest den dritten Platz verteidigen, falls man an Dortmund nicht wieder vorbei ziehen kann. Doch die Borussia hat einen Lauf und nun zwei Heimspiele gegen den HSV und Frankfurt vor der Brust, während Leverkusen zunächst einmal nach Mönchengladbach muss, um danach die bissigen Augsburger zu empfangen, die in der Rückrunde bisher noch nicht verloren haben. Reife und Leidenschaft allerdings hat die Werkself nicht erst durch dieses Spiel bewiesen, auch wenn es nicht zu einem Punkt gegen den amtierenden Meister gereicht hat. Und auch der BvB bzw. Klopp zeigten am Sonntag in Leverkusen, warum sie nun wieder auf dem zweiten Platz stehen.