Fußball auf Bewährung

Renaissance – das Wort stammt zwar aus dem Französischen, doch ihren Anfang genommen hat diese Stilepoche in Italien. Es ist mit „Wiedergeburt“ übersetzbar, und dieser Begriff kann momentan auf den italienischen Clubfußball angewandt werden. Eine Bestandsaufnahme.

Ein Blick auf die Tabelle der Serie A, der höchsten Spielklasse im italienischen Fußball, zeigt: Der AC Milan und Juventus Turin belegen punktgleich die Plätze eins uns zwei. Ein Bild, wie es aus den vergangenen Jahrzehnten wohlbekannt ist, als die Weltstars noch bevorzugt auf dem Stiefel kickten, für horrende Gehälter, und selten nach England oder Spanien wechselten. Weil dieser Zustand den Club-Granden naturgemäß gut gefallen hat, haben sie dieses System mit Geld gestützt – und wie 2006, vor der WM in Deutschland (bei der Italien dennoch Weltmeister wurde), herauskam, mit unlauteren Mitteln, mit Bestechung, Amtsanmaßung und, und, und. In den seither vergangenen fünf Spielzeiten darbte die Serie A, außer einem einzigen, gleichwohl nicht zu verachtenden Triumph in der Champions League, 2010 durch Inter Mailand, spielten die vormals so großen Clubs in Europa so gut wie keine Rolle mehr.

Die großen Stars verließen die Liga zumeist fluchtartig, und das schadete auch den Vereinen, weil sich deren Nachwuchs nicht mehr mit den Großen der Zunft messen und an ihnen wachsen konnte. Es dauerte eine Weile, bis sich manche Vereine dazu durchringen konnten, einen anderen Ansatz zu wagen als den permanenten Erwerb der besten, in jedem Fall aber teuersten Spieler, die auf dem Weltmarkt grad zu haben waren. Das beste Beispiel dafür ist Juventus Turin, in Italien nur „la Juve“ oder „la vecchia signora“ genannt, die „Alte Dame“.

Juventus hat den Umbruch vollzogen

Doch gerade diese „Alte Dame“ war es, die, zutiefst in den Skandal des „calciopoli“ verstrickt, als erstes den Neuanfang wagte. Zwangsabstieg 2006, viele Spieler gingen, doch einige blieben ihrem Verein treu und verzichteten auf einen Haufen Gehalt, Gianluigi Buffon etwa oder Alessandro del Piero, der damals sagte: „Eine Dame verlässt man nicht.“ Es waren Signale wie diese, die Platz für ein Umdenken machten in Fußball-Italien. Juve musste sparen und konnte dennoch Geld beiseitelegen, um ein neues Stadion zu bauen, eins der modernsten in Europa, gleichzeitig setzte der Club weitestgehend auf junge, hungrige Spieler. Die verpassten 2011 zwar als Siebter die Qualifikation zur Europa League, doch jetzt ist Turin in 17 Ligaspielen in dieser Saison noch ungeschlagen. Das Stadion heißt weiterhin „Stadio delle Alpi“ (und nicht etwa wie eine Bankengruppe), und weil es keine Randale mehr gibt, kommen auch wieder Familien ins Stadion. Der Prozess der Selbstreinigung bei Juventus ist vollzogen.

Dass ausgerechnet jene beiden Mailänder Clubs, nach wie vor patriarchalisch geführt, den Einzug ins Achtelfinale geschafft haben, hat damit zu tun, dass sich die Mäzene hier noch immer Weltstars halten können, wie sie wollen: Zlatan Ibrahimovic, Robinho, Clarence Seedorf, Antonio Cassano, Alessandro Nesta (AC Milan); Julio Cesar, Javier Zanetti, Dejan Stankovic, Wesley Snijder, Diego Forlan (Inter Mailand). Beim SSC Neapel, dem dritten Club aus Italien, der im Achtelfinale steht, kann man höchstens Marek Hamsik, Ezequiel Lavezzi und Edinson Cavani zu dieser Kategorie zählen, allein schon darum ist Napoli nicht mit Milan und Inter vergleichbar. Kein anderes Land ist in der ersten K.O.-Runde mit drei Vereinen vertreten. Ein Zeichen, dass sich der italienische Fußball erholt hat?

Das ist schwer zu beantworten, weil Inter und Milan den Umbruch noch vor sich haben. Sicher, die ganz großen Schwergewichte, die geschätzte zehn Millionen Euro im Jahr verdienten, sind auch hier inzwischen verschwunden, etwa Samuel Eto’o oder Ronaldinho. Gerade der AC Milan hat es geschafft, mit Kevin-Prince Boateng oder Alexandre Pato schon früh zukünftiges Spitzenpersonal aufzubauen. Leistungsträger sind die beiden schon heute. Doch um zu verstehen, wie weit der Wandel im italienischen Fußball tatsächlich schon gediehen ist, muss man unbedingt einen Blick auf die Nationalelf werfen.

Frischer Geist auch in der Nationalmannschaft

Nach zwei enttäuschenden Auftritten bei der EM 2008 (Aus im Viertelfinale) und der WM 2010 (Aus in der Vorrunde) trat der alte Haudegen Marcello Lippi ab und machte Platz für neue Ideen und einen frischen Geist, der in Form von Cesare Prandelli, vormals Trainer der Fiorentina, über die „Squadra Azzurra“ kam. Nicht scheint ihm mehr zuwider, als der alte Catenaccio, mit dem die Nationalmannschaft immer noch in Verbindung gebracht wird. Es begann damit, dass Prandelli Schluss machte mit dem System, demzufolge immer nur Spieler von Juve, Inter und Milan in der Elf auftauchten. Prandelli lässt die Besten spielen. Die Qualifikation für die EM 2012 gelang ohne Niederlage. Der Fußball unter dem neuen Trainer ist um ein Vielfaches attraktiver geworden. Prandellis Ansatz ist idealistisch, aber nicht utopisch.

Vielleicht ist es ja noch ein wenig zu früh, von einer „Renaissance“ zu sprechen, doch die Zeichen deuten darauf hin, dass der italienische Fußball verstanden hat, sich nach und nach von alten Marotten zu befreien. Dass Ende 2011 neue Verdachtsmomente von verschobenen Spielen aufgetaucht sind, muss dieser Behauptung nicht zuwiderlaufen. Während frühere Skandale gar nicht oder erst Jahre später öffentlich wurden, scheint nun eine offenere Fußballkultur Einzug zu halten, die die alten Zöpfe abschneidet, bevor diese in die Länge wachsen. Doch noch muss sich der neue „Calcio“ erst einmal bewähren.