Phantom-Tor: Nur die Spitze des Eisbergs

Wie ist die Regellage, wenn ein Tor gegeben wird, das keines war? Sie ist völlig unklar. Zwar gilt zunächst die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters. Wohin führt ein Protest der Hoffenheimer?

Tore, die keine waren, haben in der Geschichte des Fußballs eine lange Tradition. Die bekanntesten unter ihnen: das „Wembley-Tor“ 1966. Das „Phantomtor“ von Thomas Helmer 1994. Dazu mehrere gegebene Treffer in der Bundesliga nach Lattenabprallern, die deutlich vor der Torlinie herunterfielen. Aber auch gegenteilige Entscheidungen, also contra Tor, gibt es zuhauf, etwa das nicht gegebene 2:2 im WM-Achtelfinale 2010 bei Deutschland gegen England oder das verweigerte 1:1 bei der EM 2012 zwischen der Ukraine und England. Was am 18.10.2013 in Hoffenheim passierte, als Leverkusens Kießling den Ball neben das Tor köpfte, dieser aber durch ein zu großes Loch im seitlichen Netz den Weg ins Tor fand und als offizieller Treffer Anerkennung erhielt, ist also nichts grundlegend Neues gewesen.

Gäbe es den Videobeweis oder vergleichbare Techniken, wäre der Fall im Spiel schnell und eindeutig zu klären gewesen. Ein kurzer Check durch den vierten Offiziellen auf einem Monitor an der Seitenlinie, Signal an den Hauptschiedsrichter, Zurücknahme des Tores, fertig. Beiderseitige Proteste überflüssig. Doch im Fußball gibt es diese Möglichkeit – noch – nicht. Und so stellt sich nun die Frage, wie mit einem offiziellen Protest der Hoffenheimer gegen die Spielwertung umzugehen ist. Allein: ein Wiederholungsspiel zu erwirken, könnte an der FIFA scheitern, die Tatsachenentscheidungen des Schiedsrichters als extrem hohes Gut im Profifußball schätzt.

Die FIFA schützt den Schiedsrichter

Entscheiden wird, nach längerem Prozess, erst die Sportgerichtsbarkeit des DFB. Das letzte Wort aber wird die FIFA haben. Dass nur die letzten 21 Minuten des Spiels wiederholt werden, gilt als unwahrscheinlich (das Phantomtor wurde in der 70. Minute gegeben). Wobei in einem Prozess womöglich auch Gegenstand werden könnte, dass das Tornetz nicht einwandfrei war, was aus juristischer Sicht den gastgebenden Hoffenheimern zum Nachteil gereichen würde. Die komplette Neuansetzung der Partie ließe sich überhaupt nur dann beschließen, wenn im Verfahren zweifellos festgestellt würde, dass der Schiedsrichter Brych einen Regelverstoß begangen hat. Das dürfte schwierig sein, denn der Unparteiische hat zugegeben, sich nicht sicher gewesen zu sein. Immerhin, auf Leverkusener Fairplay konnte er sich nicht verlassen. Die jubelten, obwohl einige von ihnen sehen mussten, dass der Ball nicht über die Torlinie im Gehäuse landete.

Das alles ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Pro Saison werden mehrere Treffer, die keine waren, für gültig erklärt, etwa wenn Lattenabpraller vor der Linie aufhüpfen oder wenn Torhüter einen Ball vor der Linie klären. Dass Helmers Nicht-Tor von 1994 als Präzedenzfall gelten könnte, gilt als unsicher. Der einzig denkbare Weg aus dem Chaos: die Einführung des Videobeweises oder sonstiger Techniken wie dem Chip im Ball, um derart grobe Fehlentscheidungen in Zukunft auszuschließen. Der Fußball ist durchtechnologisiert bis ins letzte Detail, da liegt es nahe, für die ureigenste Frage dieser Sportart – Tor oder nicht – auch die Technik zu bemühen. Bis das soweit ist, hat die FIFA in derlei Dingen wohl das letzte Wort. Und nicht die DFB- Sportgerichtsbarkeit.