Resümee aus dem Schweiz-Spiel: Stärkt die Defensive!

Was war das denn nur? Das 3:5 in der Schweiz lässt zahlreiche Zweifel aufkommen, ob Joachim Löw seine EM-Mannschaft bis zum ersten Turnierspiel am 9. Juni – gegen Portugal – auf Kurs bekommen kann. In der derzeitigen Verfassung ist der Titel des Europameisters ziemlich utopisch. Nun liegt die Hoffnung ausgerechnet auf den Spielern des FC Bayern.

Als der FC Bayern im April in der Bundesliga in Dortmund mit 0:1 verloren hatte, standen genauso wie beim 2:5 gegen denselben Gegner am 6. Mai in Berlin elf Bayern-Spieler elf Dortmundern gegenüber. Genau wie in den drei vorhergegangenen Bundesligaspielen, die ebenfalls die Dortmunder allesamt gewinnen konnten. Und was soll diese Feststellung bedeuten? Dass Spieler des FC Bayern nicht immer automatisch gewinnen, nur weil sie Spieler des FC Bayern sind. Das gilt auch für die Nationalmannschaft. Und doch könnten in der ersten EM-Begegnung Neuer, Badstuber, Lahm, Boateng, Schweinsteiger, Kroos, Müller und Gomez die Kollegen ter Stegen (den sogar sicher), Hummels (oder noch eher Mertesacker), Schmelzer, Höwedes, Khedira, Özil (unwahrscheinlich), Schürrle und Klose ablösen und die Nationalelf so zu einem FC Bayern der zweiten Art machen. Jedenfalls dann, wenn Löw sich der Hoffnung verschrieben haben sollte, dass sich eine Bayern-gefärbte Formation qua Erfahrung im Ernstfall gegen Portugal besser zusammenfügen würde, als es die Kollegen beim Experiment in der Schweiz gezeigt haben.

Ob das die Wahrheit sein wird, muss sich zeigen (immerhin liegt diese ja immer noch auf dem Platz). Es gibt aber auch noch andere Fakten, die nachdenklich stimmen. Nur einmal, beim 3:0 gegen die Niederlande, blieb die Löw-Elf in den letzten 13 Spielen ohne Gegentor, in den beiden bisherigen Partien 2012 gab es gegen Frankreich und die Schweiz zwei Niederlagen bei zusammen sieben Gegentreffern. 2011 brillierte die Mannschaft noch mit offensivem Fußball-Feuerwerk, aber wenn nicht alles täuscht, ist diese schöne Zeit nun vorbei – Löw, so darf getrost vermutet werden, wird die Mannschaft deutlich defensiver einstellen müssen. Die vielen Gegentore sorgten dafür, dass es in den letzten vier Spielen nur einen Sieg gab bei einem Remis und zwei Pleiten.

Khedira hat Recht: die Defensive muss gestärkt werden

Erste Hinweise, dass das Defensivdenken wieder vermehrt Einzug halten müsse in der Mannschaft, kam nach dem Schweiz-Debakel dann auch schon direkt aus der Mannschaft. Sami Khedira, neben Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos einer der drei Sechser, von denen maximal zwei parallel spielen werden, mahnte wie einst Michael Ballack 2006 an, dass nicht alles dem Offensivdrang der Mannschaft geopfert werden dürfe. Und damit liegt er eindeutig richtig. Es war teilweise schon hanebüchen, wie die Schweizer am Samstag, im Herbst 2011 aber auch die Polen und die Ukrainer, die deutsche Abwehr mit schnellen Gegenstößen ein ums andere Mal bloßstellten. Zehn Gegentore gab es gegen diese drei Gegner, das ist eigentlich nicht zu fassen. Folgt Löw Khediras Ansicht, so sind das trübe Aussichten für Toni Kroos. Immerhin hatten Khedira und Schweinsteiger bei der WM 2010 sehr große Anteile am Mannschaftserfolg, indem sie die gegnerischen Kreativabteilungen selten zur Entfaltung kommen ließen. Zudem ist Kroos der deutlich offensivere Spielertyp.

Dass Schweinsteiger spielt, wenn er gesund ist, ist ebenso wenig die Frage wie die nach Lahm, Neuer oder Badstuber, der ohnehin als Lieblingsspieler des Bundestrainers gilt. Für Thomas Müller im rechten Mittelfeld sieht die Lage schon anders aus, insbesondere weil Müllers Saison, gemessen an den beiden vorangegangenen, nicht besonders gut war. Weil das aber auch für seinen Konkurrenten Mario Götze gilt, der über eine halbe Spielzeit lang verletzt zuschauen musste, und weil Müllers Zusammenspiel mit Boateng, Özil, Khedira, Schweinsteiger und Klose 2010 hervorragend klappte, dürfte der Bayer bei der EM gesetzt sein. Und, um einen Satz aus dem vorigen Abschnitt noch einmal aufzugreifen: Folgt Löw Khediras Ansicht, dass die Elf insgesamt tiefer stehen müsse, spricht auch das eher für Müller denn für Götze. Bei der Borussia in Dortmund, Götzes Heimatverein, lernen die Spieler nämlich, sehr, sehr hoch zu verteidigen, mitunter bereits am gegnerischen Strafraum. Das ist sicher nicht das Rezept, das Khedira fordert. Und es ist sicher nicht das Rezept, das der Bundestrainer wählen sollte, um seine derzeit arg verunsicherte Defensivabteilung zu beruhigen und zu stabilisieren.

Die Bayern-Spieler können das Niveau des restlichen Teams mit anheben

Bliebe noch die Frage nach Mario Gomez respektive danach, wie die vorderste Linie im derzeit so labilen deutschen Teamgefüge aussehen wird. Es sieht so aus, als sei dies die Frage, die am schwersten von allen zu beantworten ist, dabei sind die Zusammenhänge recht einfach: Ist Klose rechtzeitig zur EM fit, spielt er. Wenn nicht, spielt Gomez. Doch derzeit weiß niemand, wie es um Miroslav Klose steht, jenen Stürmer von Lazio Rom, der der Erfahrung nach besser in zur Mannschaft passt als Gomez, weil er sich mehr am Spiel beteiligt und sich Torchancen auch selbst erarbeiten kann. Zudem ist Klose der bessere Vorbereiter. Gomez‘ Qualitäten als Vollstrecker sind natürlich unbestritten. Gomez braucht keine lange Anlaufzeit; im Vergleich zu Klose ist er der bessere Joker, während der Wahl-Römer unbedingt die feste Bindung zum Spiel benötigt, und das vom Anpfiff weg.

Fakt ist: Tritt die Elf so auf wie in der Schweiz, ist der EM-Titel ein utopisches Ziel. Besonders viel Zeit zur Feinjustierung bleibt Joachim Löw nicht, und doch gründet sich die Hoffnung im deutschen Quartier nicht zuletzt darauf, dass es bei den letzten Turnieren auch immer knapp war, die Mannschaft aber mit dem ersten Anstoß des Turniers plötzlich da war. Und wenn die Spieler des FC Bayern ihren inneren Schweinehund besiegen, der den Namen „Finalniederlage dahoam“ trägt, wenn sie im Training wie später im Ernstfall wieder an ihre Belastungsgrenzen gehen können, dann sind sie auch in der Lage, den Rest der Nationalmannschaft vom Niveau her ein gutes Stück mit nach oben zu ziehen. Und davon profitieren schlussendlich auch die Dortmunder, wie Mats Hummels in der Woche vor der Pleite in der Schweiz ja auch schon zugegeben hat.