Taktische Meisterleistung der Werkself bei den Bayern

Der FC Bayern verliert sein erstes Spiel in dieser Saison und tut so, als sei nichts passiert. Und tatsächlich haben die Münchner ja immer noch einen satten Vorsprung auf den ersten Verfolger aus Schalke. Doch wäre Jupp Heynckes nicht ganz gut beraten, sich die Saison 2010/11 ins Gedächtnis zu rufen, als die Flügelzange Robben/Ribéry nicht gegriffen hatte?

Für den FC Bayern war es ein bitterer Abend, ganz besonders für Manuel Neuer, der 90 Minuten im Schneetreiben herumstand und sich erst in den letzten Minuten bewegen musste. Dann allerdings mehr, als ihm lieb war. Er musste die letzten Angriffe seiner Mannschaft initiieren, dribbelte vor des Gegners Strafraum sogar zwei Leverkusener Gegenspieler aus, um dann zusehen zu müssen, wie Teamkollege Claudio Pizarro den Ball per Kopf statt unter nur auf die Querlatte setzte und damit den glücklichen Leverkusener Sieg besiegelte. Wobei glücklich am Sonntagabend in München ein dehnbarer Begriff war – denn glücklich war auch Arjen Robben, der nach Rücktrittsgedanken wenige Tage vor dem Spiel auf einmal wieder einsatzbereit war. Glücklich war auch das Publikum, das eine anrennende Heimmannschaft gesehen hat über die komplette Spielzeit und viele Torchancen, fast alle für die Bayern, von denen aber nur eine zum zwischenzeitlichen 1:1 genutzt wurde. Von Mario Mandzukic auf Flanke von Pizarro mit dem Kopf, in der 77. Minute.

Nun war allen im Stadion klar, dass die Bayern Vollgas geben würden in der verbleibenden Viertelstunde, um die Siegesserie nicht reißen zu lassen – nicht gegen Leverkusen, gegen die man zuhause zuletzt vor 23 Jahren den Kürzeren gezogen hat, und nicht an diesem Abend. Also stürmten die Bayern weiter an und vergaßen irgendwie, dass auch Verteidigen zum Fußballspielen gehört. Das nutzte Sidney Sam fünf Minuten vor dem Ende eiskalt aus und legte dem Gastgeber ein Ei ins Netz zum 1:2. Ja, es war ein glücklicher Sieg für die Gäste, die sich unter anderem bei ihrem Torhüter Bernd Leno bedanken müssen, nicht schon früh im Spiel aussichtlos ins Hintertreffen geraten zu sein. Ja, es war auch Pech im Spiel der Bayern, Aluminiumtreffer etwa. Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Leverkusens Trainergespann – Sascha Lewandowski und Sami Hyypiä – die eigene Elf taktisch exzellent eingestellt hatte.

Leverkusens Taktik ist exzellent durchdacht gewesen

Denn bei den Bayern spielte Holger Badstuber auf der Position des linken Verteidigers, was Leverkusen dazu nutzte, in Gonzalo Castro einen Mann zu haben, der weitgehend frei war von defensiven Aufgaben. Denn Badstuber schaltet sich für gewöhnlich nicht so wie Lahm offensiv ein, wenn er es am Sonntag doch tat, so genügte Castro oft eine kurze Bewegung hin zu Badstuber, um den Raum eng zu machen und den Bayern-Spieler zu einem Quer- oder gar einem Rückpass zu zwingen. Ähnlich verteidigte auch André Schürrle auf links gegen Lahm, ließ sich öfter tiefer fallen und kam im Umschaltspiel, wie auch Castro, so zu größeren Räumen. Ein weiterer taktischer Kniff der Leverkusener war, Lars Bender meist gegen Toni Kroos zu stellen, und Bender engte den Aktionsradius der Bayern-Zentrale damit entscheidend ein.

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Mit entscheidend für den Ausgang des Spiels war allerdings auch, dass der zuletzt in bestechender Form spielende Franck Ribéry nicht mittun konnte – gerade Ribéry zeigte sich in den vergangenen Wochen als eine entscheidende Waffe (auch als Torschütze) gegen Teams, die wie Leverkusen in erster Linie tief stehen und dann kontern. Weil sich auch Stefan Kießling als einziger Stürmer weiter zurückfallen ließ, als er es für gewöhnlich tut, standen die Reihen der Gäste sehr kompakt, was die Bayern zu enorm viel Laufarbeit zwang. Dass die Bayern das Spiel dennoch bestimmten, kann dabei nicht überraschen; doch Leverkusen verstand es mit dieser taktischen Grundordnung blendend, die Bayern dazu zu zwingen, dass Badstuber, Luiz Gustavo und Boateng das Spiel von hinten heraus machen mussten, weil sich auch Bastian Schweinsteiger meist im zugestellten Mittelfeld wiederfand und von dort dem Spiel weniger Impulse verlieh, als die Bayern es gewöhnt sind.

Ein angeschlagener Robben genügt nicht

Das alles führte dazu, dass die Hausherren selten Tempo in ihre Kombinationen brachten; zwar verzeichneten die Münchner mehr als 20 Torschüsse – doch nur sechs von diesen kamen auch auf das Tor. Weil es den Gästen nach der Balleroberung nach und nach immer besser gelang, ein Umschaltspiel aufzuziehen, indem auch Stefan Reinartz, Lars Bender oder Simon Rolfes mit nach vorn stießen, kam das 0:1 kurz vor der Pause gar nicht mal so überraschend. Als Pizarro nach 75 Minuten Schweinsteiger ablöste, warf Heynckes damit seine taktische Grundordnung über Bord, was kurzfristig das 1:1 nach sich zog. Dass Leverkusen kurz vor dem Ende nach einem erneuten Konter das 2:1 erzielte, war – siehe oben – zwar etwas glücklich, aber auch nicht gänzlich verblüffend. Man muss nun vielleicht nicht sofort Parallelen suchen zu vor zwei Jahren, als die Flügelzangen Ribéry und Robben selten gemeinsam auflaufen konnten. Doch ein Robben, dem die Spielpraxis fehlt, genügt allein nicht, um eine starke Defensive ins Wanken zu bringen, und fehlt dann noch ein Ribéry, bekommen die Bayern in ihrer taktischen Grundordnung Probleme, zumindest in der Defensivbewegung. Xerdan Shaqiri, der zur Pause kam und dann links vorn spielte, hat noch nicht die Klasse des Franzosen, und der Konter zum 2:1 lief über genau diese linke Bayern-Seite, auf der Alaba in der zweiten Hälfte den Verteidiger gab. Doch auch Alaba besitzt mehr offensive Qualitäten als Defensive.

Möglich, dass die Bayern an einem schlechteren Tag, wie sie ihn am Sonntag erwischten, Ribérys Ausfall derzeit nicht kompensieren können; möglich, dass auch ein taktisch hervorragend eingestellter Gegner seinen Teil dazu beitrug, die Bayern offensiv zwar nicht harmlos, aber zumindest hier und da unstrukturiert aussehen zu lassen. Dem Münchner Status des Meisterschaftsfavoriten tut dies erst einmal nichts ab, insofern wäre eine künstliche Panikmache in München jetzt wohl verfehlt zu nennen. Doch sollten die Bayern am Samstag beim HSV wieder nicht voll punkten, wird es Diskussionen geben, weil es die in München dann immer gibt. Und vermutlich hat sich HSV-Trainer Torsten Fink genau angeschaut, wie die Werkself den Bayern das Leben aus taktischer Sicht schwer gemacht hat.