Vom Suchen und Finden der Hiebe

Der FC Bayern München hat das größte Endspiel verloren, dass es im Clubfußball gibt: das Finale der Champions League im eigenen Stadion. Doch schon wie in der Vorwoche nach dem 2:5 gegen Dortmund im Pokalendspiel vergessen Mannschaft und Trainer nach der Niederlage, auch eigene Fehler dafür verantwortlich zu machen.

Es sind nur noch wenige Minuten zu spielen, aber der Trainer nimmt schon einmal seinen besten Mann vom Feld. Denn der kann einfach nicht mehr, es ist aus, in der 81. Minute geht Lothar Matthäus vom Platz – der Mann, der das Spiel der Bayern bis hierhin geprägt und zusammengehalten hat. Ohne den Franken geht die Ordnung des FC Bayern verloren, was zu zwei ManU-Ecken führt in der Nachspielzeit. Der Rest ist bekanntermaßen Legende.

Das Tor von Thomas Müller ist gerade etwa drei Minuten alt, als der Schütze des 1:0, das gegen den FC Chelsea erst in der 83. Minute fällt, von Trainer Jupp Heynckes vom Platz gerufen wird. Der Übungsleiter wird hinterher sagen, Müller habe Probleme gehabt mit der Wade, sei nicht mehr fit gewesen. Das mag sein. Doch lächerliche drei Minuten plus Nachspielzeit wären es noch gewesen, die Müller hätte durchstehen müssen, als Heynckes ihn opferte und sein System gleich mit. Es kam Daniel van Buyten in die Partie, der Müller – der mit Franck Ribéry zusammen auffälligste Akteur der Münchner an diesem Abend – nicht ersetzen, dafür im eigenen Strafraum alles wegräumen sollte in den letzten Minuten, was halbwegs nach Torgefahr für den Gegner aus London roch. Das ging schief, Didier Drogba durfte in der 88. Minute nach der ersten und einzigen Ecke für die „Blues“ stramm zum 1:1 einköpfen. Für die Bewachung war zwar Boateng zuständig, doch es hätte sicher nicht geschadet, hätte sich auch van Buyten in Drogbas näherer Umgebung befunden.

FC Bayern, Sisyphos sei dein Name

Erst im Rückblick wird klar, dass der Wechsel Müller/van Buyten ein schwerwiegender Fehler war im Hinblick auf die Verlängerung, mit der Heynckes zum Zeitpunkt des Spielertauschs schon noch hätte rechnen müssen. Daniel van Buyten ist spielerisch limitiert, zudem war er der fünfte Abwehrspieler der Bayern – was bedeutete, dass die Offensive deutlich geschwächt wurde. So kam es, dass der FC Chelsea in der Verlängerung ernsthaft begann, tatsächlich den Weg nach vorn zu suchen, wenn auch sehr, sehr vorsichtig. Dass dann ausgerechnet Arjen Robben einen Strafstoß verschoss, passte hervorragend ins Bild, das die Bayern zu diesem Zeitpunkt abgaben. Es war die Hilflosigkeit des hoffnungslos Überlegenen.

120 Minuten lang hatte der FC Bayern das Spiel schließlich im Griff gehabt, ein paar kleinere Torchancen zustande gebracht und zwei oder drei sehr passable Einschussmöglichkeiten. Das war gemessen an den Spielanteilen viel zu wenig, hatte aber auch Gründe. Denn die Bayern spielten hier den Querpass, wo mal ein riskanter Ball in die Gasse angebracht gewesen wäre, sie schossen dort, wo das Abspiel zum besser postierten Mitspieler hätte stehen müssen (mehrmals Robben) – und die Bälle, die sie auf umständlichen Wegen doch einmal vor das von Petr Čech gehütete Londoner Tor brachten, wurden von 16 oder 18 Paar Beinen gestoppt, bevor Gefahr von ihnen ausgehen konnte. Es entbehrte nicht einer gewissen Komik, wie die Bayern wie Sisyphos ein ums andere Mal anrannten und außer dem Kopfball von Müller nichts Zählbares zustande brachten. Wie sie in der Verlängerung den Fuß ein wenig vom Gaspedal nahmen, weil das drohende Elfmeterschießen die Gedanken offenbar lähmte. Wie sie sich in diesem Elfmeterschießen trotz des frühen Vorteils – Juan Mata hatte für Chelsea gleich zu Beginn verschossen – nicht dazu durchringen konnten, den Sack zuzumachen.

Vergebene Chancen rächen sich nun einmal

Als es dann vorbei war, als Ivica Olic und Bastian Schweinsteiger die entscheidenden Elfmeter nicht verwandeln konnten und Spieler wie Funktionäre nach und nach ein paar dürre Sätze in die hingehaltenen Mikrofone sagten, fehlte etwas. Gemeint ist die Fähigkeit, das, was passiert war, auch richtig einzuordnen (was von den Spielern allerdings auch ein bisschen zu viel verlangt gewesen wäre, doch die übertragenden Sender hatten ausreichend Fachpersonal vor Ort, um das Geschehene richtig einzuordnen). Natürlich waren die Bayern die aktivere Mannschaft, aber wer über weite Strecken das Spiel nur kontrolliert, ohne mit Vehemenz und spielerischer Intelligenz Druck auf das gegnerische Tor zu machen, hat kein hervorragendes Spiel abgeliefert. Nicht einmal ein besonders gutes, wie hinterher alle behaupteten, die es mit den Bayern hielten. Von Schicksal war hier oft die Rede, davon, dass „es nicht hat sollen sein“. Was haben die Bayern erwartet – dass Chelsea dabei zusieht, wie die Münchner ein Schützenfest abhalten? Der FC Bayern hätte gewarnt sein müssen vor der zerstörerischen Macht, die vom FC Chelsea ausgeht. Viel ungerechter als der Ausgang des Endspiels war ja der Ausgang des Halbfinals, als die Londoner in zwei Spielen dem FC Barcelona so hoffnungslos unterlegen waren.

Nach dem 2:5 von Berlin verstiegen sich viele von den Bayern-Akteuren zur Behauptung, dass man eigentlich die bessere Mannschaft gewesen sei – es war lächerlich, so etwas auch nur zu denken. Nach dem Finale der Champions League, in dem alle Welt sehen konnte, dass der FC Bayern die bessere Mannschaft war, hätte es den Münchnern ganz gut zu Gesicht gestanden, weder das Schicksal, den Fußballgott noch die himmelschreiende Ungerechtigkeit zu erwähnen, sondern einfach einmal zu sagen: So ist es nun mal im Fußball, wir haben selbst Schuld am Ergebnis. Die einfache Grundregel lautet bekanntlich, dass sich vergebene Chancen rächen. Oder, anders ausgedrückt: Der FC Bayern hat Wege gesucht, sich Hiebe einzuhandeln gegen Chelsea. Und hat sich auch gefunden.