Warum hat Fußball-Deutschland in Nachwuchsteams derzeit so wenig Erfolg?

Nachdem die deutschen Fußball-Nachwuchsteams zwischen 2008 und 2009 U-17-, U-19 und U-21-Europameister wurden, folgte bis 2017 nur noch der U-19-EM-Titel 2014. Für die im Vergleich zur A-Nationalmannschaft eher dürftige Bilanz im Juniorenbereich ist auch die Priorität des Vereinsfußballs in Deutschland verantwortlich. Zudem müssen sich alle deutschen U-Nationalmannschaften seit 2012 wieder verstärkt dem Bundestrainer und dem Zweck der Ausbildung unterordnen. Andere Landesverbände legen hingegen mehr Wert auf Titel für die Juniorenauswahlen.

Erfolg der A-Nationalmannschaft hat wieder Priorität

Bis 2012 kam es innerhalb des deutschen Fußballverbands häufiger zu Differenzen über die Zielsetzung der Junioren-Nationalmannschaften zwischen dem damaligen DFB-Sportdirektor Matthias Sammer und dem Bundestrainer Joachim Löw. Löw vertrat die Ansicht, dass die primäre Aufgabe der U-Nationalmannschaften darin liegt, den Nachwuchs auf spätere Einsätze in der A-Nationalmannschaft vorzubereiten.

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Die Trainer aller anderen DFB-Nachwuchsteams müssen sich daher letztendlich dem Bundestrainer unterordnen. Somit hat beispielsweise das Erlernen gemeinsamer Spielsysteme Vorrang vor der Einstellung auf gegnerische Juniorenauswahlen. Für Sammer standen hingegen auch Titel für die U-Teams im Mittelpunkt der Arbeit. Dass Erfolge im Juniorenbereich Spielern Selbstvertrauen für größere Aufgaben geben, lässt sich zumindest nicht leugnen. Sechs Leistungsträger, die 2014 als Stammspieler entscheidend am Gewinn des Weltmeistertitels beteiligt waren, führten Deutschland 2009 zum ersten Titel bei einer U-21-Europameisterschaft. Neben dem damaligen U-21-Kapitän Sami Khedira zählen Manuel Neuer, Mesut Özil, Jérôme Boateng, Mats Hummels und Benedikt Höwedes zu diesen Nationalspielern.

Dennoch bleibt der DFB seit dem Abgang von Sammer, dessen Amt zwischenzeitlich durch Joachim Löws ehemaligen Assistenten Hansi Flick besetzt war (und derzeit unbesetzt ist), bei der Überzeugung, dass der Juniorenbereich sich nach der A-Nationalmannschaft richten muss. Wenn junge Talente iNachwuchsteamshre Fähigkeiten zeigen, spricht für den Bundestrainer zudem nichts gegen eine frühzeitige Nominierung, wegen der die Nationalspieler der U-21-Nationalelf oder zum Teil sogar der U-19-Auswahl fehlen. Mario Götze gab zum Beispiel bereits im Alter von 18 Jahren sein Debüt in der Nationalmannschaft und spielte anschließend nie wieder für eine Juniorenauswahl.

Folgen der fehlenden Abstellungspflicht für die Nachwuchsteams

Weil die Vereine bei Qualifikationsspielen ebenso wie bei Turnieren in der Regel nicht dazu verpflichtet sind, ihre Spieler für die Nachwuchsteams abzustellen, haben in den vergangenen Jahren immer mehr deutsche Klubs von diesem Recht Gebrauch gemacht. Als Grund genügt den Vereinsverantwortlichen dabei oft bereits der Umstand, dass sich ein Turnier zeitlich mit dem Beginn der Vorbereitung überschneidet. In Länderspielpausen kommt es im deutschen Fußball nicht selten vor, dass ein Spieler bei den Juniorenteams offiziell wegen einer Verletzung fehlt und am folgenden Wochenende in einem Ligaspiel 90 Minuten auf dem Platz steht. Dem DFB bleibt keine Möglichkeit, sich den Entscheidungen der Klubs zu widersetzen. Auch Talente, die zuvor noch öffentlich über ihre Vorfreude auf ein Turnier im Juniorenbereich und die Hoffnung auf den Titel gesprochen haben, erhalten häufig keine Freigabe für ihre Nationalmannschaft.

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In Gesprächen legen viele Manager und Cheftrainer von Profivereinen ihren jungen Spielern nahe, auf die Teilnahme an einem Turnier für U-Nationalmannschaften zu verzichten. Neben der erhöhten Verletzungsgefahr thematisieren die Klubs auch oft die Aussichten im Kampf um einen Stammplatz in den Liga- und Pokalspielen. Die Talente geben dem Druck in zahlreichen Fällen nach, weil sie befürchten, in ihrer Vereinskarriere entscheidend zurückgeworfen zu werden.
Spielerberater sehen wegen der geringeren Attraktivität von Juniorenwettbewerben in Profispielen meistens generell eine bessere Chance zur Steigerung der Marktwerte ihrer Klienten und raten den U-Nationalspielern deswegen nicht selten ebenfalls zu einer Absage. In einigen Fällen ist der Verzicht auf eine Teilnahme sogar der Bestandteil einer Abmachung bei dem Vollzug eines Spielertransfers oder einer Vertragsverlängerung.

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Es kam in der Sommerpause 2015 in Deutschland wiederholt zu öffentlichen Diskussionen über die Abstellungspflicht, weil zwei Spieler des Zweitligisten RB Leipzig trotz eines tadellosen Fitnesszustands und der Nominierung durch die Junioren-Bundestrainer bei wichtigen Turnieren fehlten. Vor allem Davie Selkes Verzicht auf eine Teilnahme an der U-20-Europameisteschaft sorgte für Aufregung. Im Vorjahr wurde Selke, der zur Saison 2015/16 von Werder Bremen nach Leipzig wechselte, bei der U-19-Europameisterschaft Torschützenkönig.

Terminkollisionen mit Vereinsspielen

Die Schuld für das Fehlen von einsatzfähigen Topspielern der Nachwuchsteams bei Juniorenturnieren liegt nicht ausschließlich bei den Vereinen. Oft gelingt es der FIFA und der UEFA nicht, ihre Terminkalender richtig miteinander abzustimmen. Daher finden während laufender Profiwettbewerbe im Vereinsfußball manchmal zeitgleich bedeutende Pflichtspiele für Nationalmannschaften im Juniorenbereich statt. In derartigen Fällen würde Vereinen mit vielen Talenten ein erheblicher Nachteil entstehen, wenn sie ihren Spielern die Freigabe erteilen. Ein besonders extremes Beispiel dazu ist die U-20-Weltmeisterschaft 2009 in Ägypten. Dieses Turnier wurde wegen der klimatischen Bedingungen in Afrika im September veranstaltet. Zu derselben Zeit mussten deutsche Profiklubs zwei Ligaspiele bestreiten und außerdem zum Teil im DFB-Pokal sowie in der Champions League antreten. Insgesamt wurde deshalb 25 Spielern der deutschen U-20-Nationalmannschaft die Freigabe für die WM verweigert. Nur acht Talente, die im Vorjahr den U-19-EM-Titel gewonnen hatten, sind daher im deutschen WM-Kader verblieben. Das Fehlen der Leistungsträger war besonders tragisch, weil die deutsche NationalmNachwuchsteamsannschaft bei der U-20-WM 2009 im Viertelfinale nur knapp am späteren Vizeweltmeister Brasilien scheiterte und in optimaler Besetzung gute Chancen auf den erstmaligen Gewinn der U-20-Weltmeisterschaft gehabt hätte.

Obwohl von einigen Funktionären der FIFA angekündigt wurde, dass man über eine Abstellungspflicht für Nationalmannschaften im Juniorenbereich nachdenkt, kam es nie zur Realisierung dieser Maßnahme. Auf die Verpflichtung, Spieler sogar während des Spielbetriebs freizugeben, müssten die Ligaverbände voraussichtlich mit der Absage und Neuansetzung zahlreicher Spieltage reagieren. Aus finanzieller Sicht ist es jedoch wichtig, Vereinsspiele zu den besten Sendezeiten anzusetzen. Denn nur so lassen sich möglichst hochdotierte TV-Verträge aushandeln. Die wirtschaftlichen Interessen der Vereine stehen also einer besseren Lösung für die deutschen U-Nationalmannschaften ebenso wie der Unwille der FIFA, den Terminkalender besser mit der UEFA abzustimmen, im Weg.

Obwohl die Chancen auf Titel im Juniorenbereich für Deutschland wegen der fehlenden Abstellungspflicht sinken, verzichtete unter anderem der DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock im Sommer 2015 auf Forderungen nach einer Regeländerung. Neben den Interessen von Vereinen spielen bei den Absagen von Junioren-Nationalspielern schließlich manchmal tatsächlich wichtige persönliche Gründe eine Rolle.
Probleme im Schulunterricht oder anderen Lebensbereichen sind nicht immer vorgeschobene Argumente der Fußballklubs. Ob ein Talent tatsächlich nicht einsatzfähig ist, lässt sich ohnehin kaum überprüfen. Darüber hinaus will der DFB den von Profiklubs und Spielerberatern erzeugten Druck auf den Nachwuchs nicht weiter erhöhen.Nachwuchsteams

Vorteile für andere Nationalmannschaften

In Ländern, in denen der Profifußball sich nicht so wie in Deutschland etabliert hat, genießen die Nachwuchsteams oft Priorität und sind die Aushängeschilder der nationalen Verbände. Während vollkommen unerwartete Turniersieger wie Griechenland bei der EM 2004 bei A-Länderspielen eher die Ausnahme bleiben, haben bei Wettbewerben für Junioren oft auch vermeintliche Fußballzwerge mit einem guten Jahrgang Erfolgsaussichten. In Afrika und in kleineren europäischen Staaten winken den Landesverbänden bei einem Turniersieg mit dem Nachwuchs oft Fördermittel.

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Deshalb treten diese U-Nationalmannschaften in der Regel immer in Bestbesetzung und mit voller Motivation an. Auf die besten Konkurrenten der eigenen Altersklasse, die in einer Fußballnation die Juniorenauswahlen übersprungen haben, treffen die Titelgewinner aus dem Nachwuchsbereich jedoch manchmal erst mit der A-Nationalmannschaft. Der Umstand, dass Mannschaften aus Afrika bei Juniorenwettbewerben erfolgreicher abschneiden, hing in den Augen einiger Experten zumindest im 20. Jahrhundert mit Gerüchten um falsche Altersangaben zusammen. Mittlerweile überprüft die FIFA durch medizinische Tests jedoch sorgfältig das biologische Alter. Dass beispielsweise Nigeria als U-17-Rekordweltmeister noch nie mit der A-Nationalmannschaft über das Achtelfinale einer WM hinauskam, wird auch mit Schwierigkeiten bei der Anpassung von bisherigen Amateurspielern an ein unerwartetes Leben als Profifußballer im Rampenlicht der Öffentlichkeit erklärt.

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Ververidis Vasilis / Shutterstock.com
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