Wenn Dreiecke zu Kunst werden

Das Champions League-Endspiel 2011 zeigt, dass der FC Barcelona die Lücke zwischen sich und dem vollendeten Fußball nahezu geschlossen hat.

Es fällt immer ein wenig schwer, das vermeintlich Unbegreifliche einzuordnen, geschweige denn zu analysieren. Für eine erste Annäherung an dieses Unbegreifliche, ja Ungreifbare, hilft es, sich noch einmal die Schlagzeilen zu vergegenwärtigen, die es nach dem 28. Mai 2011 in deutschen Gazetten gegeben hat. „Der Planet Barça entfernt sich von der Fußballwelt“, so Peter Heß (FAZ), der den FC Barcelona als ein „großes Geschenk“ begreift, was er zweifellos auch ist. „Strategie trifft Instinkt“, schlagzeilte der hervorragende Fußballautor Ronald Reng in der Stuttgarter Zeitung, und die Süddeutsche Zeitung überschrieb ihren Artikel zum Champions League-Finale mit den Worten „Die Könige Europas“.

Zu einem Fußballspiel gehören allerdings immer zwei Mannschaften, und im Finale von London war Manchester United dieses zweite Team. Ist es also ungerecht, wenn sich die Analysen nur auf diese eine Mannschaft aus Barcelona kaprizieren? Ja. Aber auch nein. Ja, es ist ungerecht, weil die Truppe von Sir Alex Ferguson auch mitgespielt hat, allerdings nur sieben Minuten lang, ganz zu Beginn. Nein, es ist nicht ungerecht, weil in den verbleibenden fast 90 Minuten nur noch Barça gespielt hat. Und das ist eigentlich, siehe oben, unbegreiflich.

Es sieht so kinderleicht aus

Die beiden besten Clubmannschaften Europas spielten da gegeneinander, und dabei war der gefühlte Unterschied kein 3:1 für die Katalanen, sondern ein 7:1. Wie ist so etwas möglich? Hatte Manchester zu viel Angst? Ja. Und aber auch wieder nein, denn sonst hätten sie zu Beginn nicht so offensiv gespielt. Die Angst kam dann nach sieben Minuten, als nichts Zählbares herausgesprungen war für die Engländer, und dann kam sie in Form von Dreiecken. Neben der Tatsache, dass der FC Barcelona über so unglaublich gute Spieler wie Messi, Iniesta und Xavi verfügt, ist die Art, wie die Mannschaft spielt, dafür verantwortlich, dass selbst Gegner der Kragenweite Manchesters keine Herausforderung sind. Und dabei tut man Barcelona sogar noch Unrecht, denn was ist mit all den anderen Spielern der Extraklasse? Villa, Pedro, Piqué und vor allem Busquets, den Reng auf der Sechserposition als „menschliche Drehscheibe“ bezeichnet. Weiter schreibt Reng in der Stuttgarter Zeitung: „Er ist drei Spieler in einem, Hilfsverteidiger, Wellenbrecher, Richtungsgeber. An Abenden wie diesem, wenn Messi und Busquets die Besten sind, werden sogar Klasseteams wie ManU hilflos. Versperrte der Englische Meister Barça an einer Stelle den Spielraum, tat er sich anderswo schon auf.“

Doch zurück zu den Dreiecken, und damit zu mindestens dem Anteil, den Trainer Pep Guardiola am Erfolg des FC Barcelona hat. Natürlich könnte man einwenden, dass die genannten Spieler vielleicht auch ohne Trainer erfolgreich wären, aber sie würden es niemals schaffen, das Ganze so kinderleicht aussehen zu lassen. Das ist Guardiolas Verdienst, und das Geheimnis des Verdiensts versteckt sich dahinter, dass beim FC Barcelona eine ganze Menge Triangeln auf dem Platz herum laufen in unendlich vielen Kombinationen. Xavi, Iniesta, Busquets ist so ein Dreieck. Aber auch Messi, Pedro, Iniesta. Oder Piqué, Abidal, Xavi. Xavi, Messi, Villa. Alves, Messi, Busquets. Und so weiter und so fort. Die Dreiecke sind in allen möglichen Varianten vorstellbar, und nicht nur vorstellbar: es gibt sie wirklich. So kann es etwa passieren, dass sich aus dem Spiel heraus ein Delta mit Pedro, Puyol und Villa bildet, obwohl alle eigentlich auf höchst unterschiedlichen Positionen spielen, aber die enorme Laufarbeit, die Guardiola von seiner Elf verlangt, macht diese Dreiecke möglich. Und alles sieht immer so einfach aus, so leicht. Ein Eckpunkt eines Deltas ist in Ballbesitz und hat immer zwei Anspielstationen als Optionen. Oder es wird hinten herum gespielt und neu aufgebaut, so lang, bis sich eine Möglichkeit ergibt, das Dreiecksspiel in Richtung Tor zu tragen und zum Abschluss zu kommen.

Das kafkaeske Spiel

Ein zweites Geheimnis, wenn man es denn so nennen möchte, ist der Umstand, dass Barcelona fast alle Pässe diagonal spielt und die wenigsten steil in die Spitze, von Kontern einmal abgesehen oder wenn ein Stürmer richtig Platz hat. So gelingt es dem Gegner nicht, die Passwege dicht zu machen, und wenn er es doch versucht, fehlen im Deckungsverbund plötzlich mindestens zwei Spieler. Obwohl jeder inzwischen weiß, wie Barça spielt, gelingt es niemandem, dieses Spiel zu stoppen. Es ist schlicht und einfach zu gut.

„In meiner Zeit als Trainer habe ich keine bessere Elf gesehen“, gab Sir Alex hinterher zu Protokoll, und wenn der so etwas sagt, dann darf man ihm ruhig Glauben schenken. Barça beherrscht die Sportart Fußball derart perfekt, dass man meinen könnte, mit Fußball habe das nichts mehr zu tun. Irgendwie ist da was dran, mit dem Fußball, wie wir ihn kennen, kann man Barcelonas Spielweise nicht erklären, und wenn selbst ausgebuffte Taktikfüchse wie Ferguson so grandios scheitern, wie kann man dann als Amateur noch verstehen, worin das alles begründet ist? Darum spricht aus vielen Sportjournalisten eigentlich Verzweiflung, wenn sie schreiben müssen, dass Barça den Fußball zu einer Kunstform erhoben hat. Die Gegner der FC Barcelona müssen sich vorkommen wie die Hauptfigur in Franz Kafkas „Die Verwandlung“.