Wie viel Psycho-Training braucht eine EM-Vorbereitung?

von Jens Kleinert
Universitätsprofessor am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln

Psychologisches Training gehört zu einer Vorbereitung ebenso dazu, wie das Training der Kondition, der Technik oder der Taktik. Allerdings haben die meisten Menschen eine völlig falsche Vorstellung von „Psycho-Training“. In Wirklichkeit findet das Training psychischer Fähigkeiten bei jeder Trainingseinheit der Nationalmannschaft in unterschiedlichem Ausmaß statt. Genauer gesagt, trainieren die Nationalspieler ständig beispielsweise ihre Konzentrationsfähigkeit, Entscheidungsschnelligkeit, ihre Vorstellungen von Bewegungsabläufen und Laufwegen. Dies alles sind wichtige psychische Faktoren von Top-Leistung. Das Training mentaler Leistungskomponenten ist also ein selbstverständlicher Bestandteil jedes Trainings.

Technik- und Taktikübungen können die mentalen Fähigkeiten unterschiedlich stark beanspruchen. Übungen können nämlich so gestaltet sein, dass beispielsweise die Wahrnehmung oder das Entscheidungsverhalten für die Spieler bewusst erschwert werden und dadurch auch besonders trainiert werden. Wenn also eher die psychische Leistungsfähigkeit (und weniger die Technik oder Taktik) im Vordergrund des Trainings steht, sprechen wir von Psychologischem Training im eigentlichen Sinne. Auch dieses Training findet jedoch im Rahmen des üblichen Trainingsgeschehens statt. Das heißt, Trainer und Sportpsychologe überlegen gemeinsam, wie Psychologisches Training in das Mannschaftstraining integriert werden kann.

In manchen Fällen erhalten Spieler auch „psychologisches Sondertraining“. Häufig ist dies der Fall, wenn das Selbstvertrauen, beispielsweise in Folge einer Verletzung, gestärkt werden soll. Für verletzte Spieler ist es besonders wichtig, Vertrauen in den eigenen Körper zu bekommen oder wieder zu erlangen. „Psycho-Training“ und „Konditionstraining“ ergänzen sich hier also optimal und finden fast gleichzeitig statt. Während des Konditionstrainings lernt der ehemals verletzte Spieler seine Muskulatur oder seine Gelenke kräftig, stabil, also funktionsfähig und vertrauensvoll einzuschätzen. Oder anders: Eine gute Kondition fördert die Leistung erst dann, wenn der Spieler diese Kondition auch spürt und an sie glaubt.

Insgesamt gesehen ist der Glaube an sich selbst in der Vorbereitung auf ein großes Turnier eines der wichtigsten Trainingsziele. Im Normalfall sind Nationalspieler eher selbstbewusste, optimistisch denkende Menschen. Auch ein Rückschlag und Misserfolg, wie beispielsweise der von Bastian Schweinsteiger, wird gut verkraftet. Neue Ziele und mögliche positive Zukunftsaussichten helfen dabei, Misserfolge schnell zu verarbeiten. Leistungssportler haben gelernt mit Rückschlägen umzugehen, einfach deshalb, da Rückschläge in einer Sportkarriere häufig auftreten. Der Sportpsychologe hat hier –ebenso wie der Trainer– zuerst einmal die Aufgabe des Beobachters. Wirkt der Spieler gut gelaunt und zuversichtlich? Hat er Freude am Training und am Fußballspielen selbst? Fühlt er sich offensichtlich wohl im Team und ist er integriert? Erst dann, wenn über längere Zeit Stimmung und äußerer Eindruck eines Spielers negativ wirken, ist Handlungsbedarf. Zumeist wird dann über persönliche Gespräche die Lage näher hinterfragt und dann eventuell –und gemeinsam mit dem Spieler– eine Aufbaustrategie entwickelt.

Die Leistungsfähigkeit der Mannschaft ist jedoch in einem Mannschaftssport wie Fußball nicht allein eine Summe der Einzelleistungen. Sportpsychologisches Training ist daher auch immer Training der Mannschaftsstimmung und des Teamvertrauens. Beides, die Entwicklung einer positiven Teamstimmung und des Teambewusstseins findet sowohl im typischen Training statt als auch außerhalb des Trainingsplatzes. Das heißt, sowohl Gruppenübungen und gemeinsames Training können das Gefühl von Gemeinsamkeit verstärken als auch Aktivitäten außerhalb des Trainings. Trainer und Sportpsychologe machen sich im Vorfeld eines Turniers auch in dieser Hinsicht Gedanken und arbeiten sowohl Trainings- als auch Freizeitpläne aus, die das Teamgefühl und die Kooperation im Team stärken. Denn letztlich gewinnt zumeist das Team, was als ein Team kämpft, zusammenarbeitet und auftritt.