Zurück in die Freiburger Nische

Ja, der SC Freiburg war in diesem Jahr bereits einmal das Thema eines Beitrags an dieser Stelle. Und nun nochmal? Wir finden: der SC hat die wohl außergewöhnlichste Trendwende der Saison geschafft. Niemand hatte im Winter auch nur einen Pfifferling auf die Breisgauer gegeben. Wie hat Trainer Christian Streich das Freiburger Spiel und das Umfeld verändert?

Als der SC Freiburg im Winter den Trainer sowie ein paar Spieler feuerte, dachte jeder Beobachter in Deutschland: Willkommen, SCF, nun bist auch du ein ganz normaler Bundesligaclub. Doch falsch gedacht. Christian Streich hieß der Neue, der streng genommen kein Neuer, sondern ein im Club Altbekannter war, der seit Jahren und Jahrzehnten den Freiburger Nachwuchs bundesligatauglich machte und zudem auch noch Selbstgedrehte rauchte wie seinerzeit Volker Finke, der Freiburger Über-Fußballlehrer.

Streich hatte die Freiburger A-Jugend dreimal zum Deutschen Pokalsieger und einmal sogar zum Meister gemacht. Ganz nebenbei war er fast fünf Jahre lang auch noch Co-Trainer der Übungsleiter Robin Dutt und Marcus Sorg, und man kann sich nicht vorstellen, dass Christian Streich damit noch viel Zeit für andere Sachen findet und fand als für den SC. In diesem Punkt liegt bereits ein Schlüssel zu seinem Erfolg. Viele der Freiburger Profis, die in der Rückrunde Erfolg an Erfolg gereiht haben, sind in der Jugend durch Streichs Schule gelaufen; sie wussten von vornherein, was er von ihnen verlangt. Und Streich wusste, was er von ihnen verlangen darf. Als der SC im Winter seinen Toptorschützen Papiss Cissé für rund zehn Millionen zu Newcastle United veräußerte, waren die Fans entsetzt. Für Streich war der Verlust weniger Problem als Chance – er wusste, dass er die Verantwortung, die auf dem Senegalesen gelegen hatte, nun problemlos auf mehrere Schultern verteilen konnte. Seinen Spielern, gerade den Eigengewächsen, hat diese Übernahme von Verantwortung sichtlich gut getan.

Streich beherrscht das Einmaleins

Unter Dutt und Sorg hatte sich der Club langsam, aber stetig von seinem vor 20 Jahren von Finke und dem damaligen Präsidenten Achim Stocker eingeschlagenen Nischenweg entfernt. Die Nische hieß: Spieler scouten in Mali, Tunesien, Georgien und sie in Freiburg zu Diamanten schleifen. Das Ganze gepaart mit dem taktischen Element der ballorientierten Raumdeckung. Unter Streichs Vorgängern, jedenfalls unter Marcus Sorg, gingen diese Elemente flöten. Der Grund? Womöglich war es so, dass Sorg nicht einkalkulierte, dass es für ein Team wie den SC Freiburg zwingend notwendig war und ist, an die einfachsten Dinge im Fußball zu appellieren – das jedenfalls lässt die in der „Berliner Zeitung“ zitierte Aussage von Freiburgs Mittelfeldmann Jan Rosenthal vermuten, dass Streich „die ganz einfachen Dinge“ erklärt habe: „hinter den Ball kommen, laufen, zwei Kontakte spielen, miteinander kommunizieren.“ So seien die „Pass- und Laufwege haarklein verbessert“ worden. Das Einmaleins für eine Mannschaft, die gegen den Abstieg spielt.
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Diese Nuancen, die Streich im Training veränderte und die nach und nach auch in das Spiel der Breisgauer (wieder) Einzug hielten, diese Nuancen sind es auch, die nach Streichs Einsetzung im Winter schnell dafür gesorgt haben, dass auch das Umfeld wieder an eine erfolgreiche Mission Klassenerhalt glauben konnte. Dieser Glaube war fast völlig verschwunden, was auch mit dem Umstand zusammenhing, dass der SC im Winter sein Jahrzehnte lang gepflegtes Credo über den Haufen warf, dass in Freiburg nicht nach den üblichen Gesetzen der Branche gehandelt wird. Andererseits war auch klar, dass was passieren musste in der Winterpause angesichts der 13 Punkte, dem Torverhältnis von 21:39 und der fünf Punkte Rückstand auf Platz 15. Insofern kann man dem Manager Dirk Dufner nicht vorhalten, er habe die im Sommer begangenen Fehler im Winter nicht korrigiert – auch, wenn das zunächst auf Kosten der Vereinsphilosophie geschah.

Ein Wunder ist es eigentlich nicht, was beim SC passiert ist

Dass der SC Freiburg sich dieser Philosophie wieder (oder weiter) verschreibt, darf als gesichert gelten, solange Streich dort Trainer ist. „Es ist immer noch viel möglich“, erzählte Streich dem Fußballmagazin „11Freunde“ im Frühjahr und meinte, dass allein schon ein vernünftiger Umgang mit den Spielern neue Möglichkeiten schafft. Es ist ja auch klar. Fußballprofis sind sensible Angestellte, es kommt nicht darauf an, was man ihnen sagt, sondern auch wie. Nicht überall in der Bundesliga ist diese Erkenntnis bereits gereift.

Um ein Haar wäre alles anders gekommen; Streich wollte das Angebot des Clubs im Winter eigentlich nicht annehmen, tat es in letzter Sekunde dann aber doch. „Was denken die jetzt hier im Verein, wenn ich Nein sage?“, hatte er überlegt – und sagte zu. Sonst wäre ein anderer gekommen. Einer, der – das darf man getrost spekulieren – nicht ansatzweise so gut zum SC Freiburg gepasst hätte wie Christian Streich. Dann hat er als erste Amtshandlung der Mannschaft gesagt, dass der Abgang von Cissé für alle Spieler eine Chance bringe, hat den Teamgeist beschworen und die Nachwuchsspieler ermuntert, dass jeder von ihnen eine gute Rolle beim SC spielen kann. Aus diesem Blickwinkel heraus ist der Klassenerhalt der Freiburger gar nicht mehr so sehr ein Wunder, wie von vielen Medien beschrieben wurde. Wenn sich der SC Freiburg treu bleibt, wird er auch am Ende der nächsten Bundesligaspielzeit über dem berühmten Strich stehen.