Totale Übersicht durch Aufmerksamkeitstraining

Wenn man Xavi Hernandez und Andres Iniesta auf engstem Raum am Ball sieht, zugestellt von zwei, manchmal drei Gegenspielern, kann man nur mit offenem Mund staunen. Woher nehmen diese Ausnahmespieler die Ruhe und treffen noch in größter Bedrängnis die richtige Entscheidung? Ist es angeboren? Oder erlernbar? Zum Teil ist es sicherlich eine Grundbegabung. Es erstaunt aber, dass beide Spieler aus der Schule des FC Barcelona kommen, und dort schon früh eine Spiel-und Trainingsphilosophie entwickelt wurde, bei der neben den technischen Fähigkeiten am Ball auch auf die Entwicklung der Spielintelligenz großen Wert gelegt wurde. Um Spielintelligenz zu entwickeln, braucht es wache Spieler und Übungen, die situativ die Hirne der Spieler fordern und fördern und somit ihre Aufmerksamkeit stärken. Einen Bereich davon deckt das gleichbenannte Aufmerksamkeitstraining ab.

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Wozu dient Aufmerksamkeit im Fußball?

Aufmerksamkeit

Wer aufmerksam ist, ist in der Lage, eine Spielsituation besser und schneller zu erkennen, um dann mit Hilfe seiner Erfahrungen und technischen Fähigkeiten passende Lösungen zu finden. Im modernen Fußball, der sich immer schneller entwickelt, ist dies eine notwendige Fähigkeit, um erfolgreich zu spielen. Der Antagonist der Aufmerksamkeit ist die Ablenkung. Ablenkung wird durch innere und äußere Störfaktoren hervorgerufen. Ein innerer Störfaktor kann die Angst vor dem Versagen sein oder die Wut auf den Gegenspieler, der einen böse abgegrätscht hat. Äußere Faktoren können Eltern, gegnerische Zuschauer oder der Trainer sein, um deren Anerkennung man buhlt, statt sich auf das Spiel zu konzentrieren.

Wie trainiert man Aufmerksamkeit?

Im Buddhismus gibt es Achtsamkeitsübungen und Meditationen, die sich über Atemübungen die Fähigkeit verschaffen, den ablenkenden Affen im Kopf zu beruhigen und sich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auch für das Fußballtraining sind mentale Übungen dieser Art zu empfehlen. So kann man nach dem ersten Aufwärmen eine kurze „Atempause“ einlegen, bei der die Spieler auf ihren Atem achten. Je jünger die Spieler sind, umso kürzer hält man die „Atempause“, da die Kinder nicht in ihrem Spieltrieb gebremst werden sollten. Es ist jedoch ein wirkungsvoller Rhythmuswechsel, der den Spielern die Gelegenheit gibt, sich zu sammeln, ehe das Haupttraining beginnt. Durch dieses rituelle Heranführen, bereitet man die Spieler darauf vor, sich selbstständig, in Stresssituationen, die besondere Aufmerksamkeit fordern (z.B. Elfmeter, Freistoß, Eckball), zu zentrieren, um dann fokussiert zu handeln.

Für Profi Fußballer ein sehr gutes Training, um ihre Aufmerksamkeit zu stärken.

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Die Macht der Augen und das Spiel-Atom

Während der Buddhist oft auch sein drittes Auge (auf der Stirn zwischen den Augenbrauen) bei einer Meditation fokussiert, genügt es dem Spieler auf dem Feld, wenn er mit seinen anderen beiden Augen alles erkennen und lesen kann. 85% der Informationen, die ein Spieler erhält, empfängt er über die Augen. Die Augen sehen aber nur, was sie wissen. Ist ihr Blick nicht geschult, sehen sie den Wald vor lauter Bäumen nicht. Eine Übung könnte sein, den Spielern während eines 6 gegen 6 Spiels auf vier Tore die Aufgabe zu geben, wann sie 2-gegen-1 Situationen entdecken. Die 2-gegen-1 Situation gilt als kleinster Baustein eines Spiels. Man könnte es das Spiel-Atom nennen.

Entdecken die Spieler eine solche Situation, können sie sich bewusst für drei Entscheidungen entschließen: Freilaufen? Passen? Dribbeln?
Diese Übung kann schon ab der U8 beginnen und mit steigendem Alter komplexer gestaltet werden. Ab der U11 kann dann schon damit begonnen werden, in welcher Zone 2-gegen-1 Situationen zu welchen Lösungen führen und warum. Ein sicheres Zuspiel wird in der Abwehr einem riskanten Dribbling vorgezogen, während im Sturm möglicherweise das Dribbling überraschender ist, als der vom Gegner antizipierte Pass zum Mitspieler.

Schulung durch bewusste Einschränkung

Um den Fokus auf die Wichtigkeit der Augen zu richten kann man folgende Übungen spielen:

  • Augenklappe
    Die Spieler schließen ihr stärkeres Auge mit einer Augenklappe und ziehen damit zwei Drittel des Trainings durch. Abgesehen davon, dass es den meisten Spielern Spaß macht, wie Piraten übers Feld zu jagen, wird sich das schwache Auge sehr anstrengen müssen, um die Übersicht zu behalten. Durch die Einschränkung ist das dreidimensionale Sehen, der Blick in die Tiefe, ausradiert. Es erfordert eine stärkere Konzentration, sich mit dem Raum anzufreunden. Außerdem ist der Radius des Sichtfeldes eingeschränkt. Der Spieler ist zum Schulterblick gezwungen, will er nicht von Gegenspielern überrascht werden. Nimmt der Spieler die Augenklappe im letzten Drittel des Trainings ab, wird er den Unterschied deutlich spüren und genießen.
  • Blind mit Ball
    Der Spieler schließt die Augen und dribbelt blind mit dem Ball übers Feld. Wenn er denkt, dass er am Strafraum angelangt ist, öffnet er die Augen und sucht den Torabschluss. Diese Übung schult den Kontakt zum Ball und vermittelt ein neues Raumgefühl.
  • Blind mit Partner
    Spieler A schließt die Augen. Spieler B hat die Augen geöffnet und hält Spieler A an den Hüften. Spieler A dirigiert Spieler B mit den Kommandos: vor, zurück, links, rechts und Schuss über ein abgestecktes Spielfeld mit vier Toren. Jedes Paar ist eine eigene Mannschaft, die versucht, ein Tor zu erzielen. Gespielt wird mit einem Ball und vier Paaren. Hier wird der blinde Spieler gezwungen aufmerksam zuzuhören und schnell den Anweisungen des Partners zu folgen. Der sehende Spieler hingegen übernimmt Verantwortung für den Blinden und ist gezwungen sehr schnell richtige Entscheidungen zu fällen.
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Warum ist Aufmerksamkeitstraining wichtig?

Wenn man bedenkt, dass während eines 90-minütigen Spiels der durchschnittliche Spieler nur etwa 90 Sekunden in Ballbesitz ist, die technische Arbeit am Ball also lediglich 2% beträgt, erschließt sich die Antwort von allein. Was tut der Spieler während der übrigen 98% seines Spiels? Er stellt sich ständig Fragen, wie er sich zum Spiel verhalten muss. Wohin soll er sich freilaufen? Welchen Raum schließen? Wohin passen, falls der Ball zu ihm gespielt wird? Den Ball laut fordern, weil er eine mögliche Lücke entdeckt hat, die zum Torerfolg führen könnte?
Bälle Kinder
Hier wird ständig die Aufmerksamkeit gefordert. Und wer sie zu 100% abrufen kann, ist im Vorteil. Warum schlug Atlético Madrid im Champions League Halbfinale der vergangenen Saison den technisch und spielerisch überlegenen FC Bayern? Nicht nur, weil die Bayern offensiver Fußball spielen und dadurch anfälliger für Kontergegner sind. Atlético war auch aufmerksam und diszipliniert. Jeder Spieler wusste, wie er zu agieren hatte, um den angreifenden Bayern das Spiel zu erschweren.

Momentan sind es die kleinen Fehler im Spitzenfußball, die Spiele entscheiden. Gegen Atlético Madrid verschoss Thomas Müller lässig einen Elfmeter. Ein Elfmeter hat weniger mit Glück zu tun, als mit Aufmerksamkeit. Müllers Körpersprache war unentschieden. Im Vorfeld gab es Presserummel, weil Müller beim Hinspiel in Madrid auf der Bank saß ausgerechnet der „Top-Knipser“. Beim Rückspiel musste er plötzlich die große Verantwortung übernehmen. Beim Gang zum Elfmeterpunkt stören Gedanken in Sekundenblitzen. Die Aufmerksamkeit weicht, ein lascher Elfmeter, den der aufmerksame Keeper locker hält, ist die Konsequenz.

Fast eine Kopie von Müllers Elfer im Viertelfinale der EM gegen Italien. Müller hatte bislang noch kein Tor bei dem Turnier geschossen. Nervende Fragen der Journalisten lächelte er weg oder betonte mit einem Augenzwinkern während der Nationalhymne seine Lockerheit. Aber im entscheidenden Augenblick gegen Buffon war er nicht aufmerksam genug.

Auf der Gegenseite noch ein eklatanteres Beispiel von Unaufmerksamkeit: Der italienische Stürmer Pellè wollte Neuer damit provozieren, indem er ihm per Handzeichen andeutete, dass er ihm den Elfmeter ins Tor löffeln würde. Gefangen von seinem eigenen Ablenkungsspiel setzte er den Ball kläglich neben den linken Pfosten. Neuer hingegen strahlte wie Buffon bis zuletzt Aufmerksamkeit aus. Beide Torleute waren Sieger dieses Elfmeterschießens.

Ein anderes Beispiel für Aufmerksamkeit sind die beiden Handelfmeter, die sich die deutsche Mannschaft durch die sonst so konzentrierten Führungsspieler Boateng und Schweinsteiger einhandelten. Hatte Boateng noch das Glück, dass Italien im Elfmeterschießen geschlagen werden konnte, bedeutete Schweinsteigers Lapsus das Turnierende für die deutsche Elf.

Welche Auswirkungen haben Aufmerksamkeitsübungen?

Hier muss man zwischen kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen unterscheiden. Kurzfristig entspannt zentriert es die Spieler. Es ist erfrischend, abwechslungsreich und regt die Synapsen an. Langfristig fördert es die Spielintelligenz und kreiert kreative Spieler, die in jeder Situation erfolgsversprechende Lösungen anbieten können.

Wie lange und wie oft sollte man im Jugendbereich Aufmerksamkeitsübungen durchführen?

Die „Atempause“ kann man bei jeder Trainingseinheit üben und sie so zum Ritual werden lassen, dass sie die Spieler auf Aufmerksamkeit konditioniert. Spiele und Übungen mit dem Schwerpunkt Aufmerksamkeit sollten mindestens 20 Minuten einer Trainingseinheit beinhalten. Der Trainer selbst sollte ebenfalls aufmerksam sein und jederzeit erkennen, wann er während der anderen Spiele und Übungen den Spielern geschickte Fragen stellt, die diese zur Aufmerksamkeit zwingen. Dadurch ist die Aufmerksamkeit allgegenwärtig.

Weitere Übungen und Anregungen

  • Life-Kinetik (nach Horst Lutz)
    Level 1: A wirft B zwei Tennisbälle zu, die B fangen muss. Relativ leicht zu meistern.
    Level 2: A wirft B vier Tennisbälle zu. B muss sich entscheiden, welche beiden Bälle er fängt.
    Level 3: A wirft B vier Tennisbälle zu. Zwei sind gelb, zwei blau. B darf nur die beiden blauen Bälle fangen.
  • Ball-Jonglage und werfen0202
    Der Spieler jongliert mit den Füßen einen Ball. In der rechten Hand hält er einen zweiten Ball, den er während der Jonglage in die linke Hand wirft. Auf Kommando lässt er beide Bälle fallen, dreht sich um und sprintet zu einem Ball, den er in einem fünf Meter entfernten kleinen Tor versenken muss.
  • Boxkampf und Pass-Spiel
    Partner A und B boxen. Erlaubt sind Treffer auf Schulter, Bauch und Knie. Wenn ein Partner drei Treffer erzielt hat, sprintet er nacheinander zu vier Bällen, die in alle Windrichtungen ausgelegt sind, und passt sie B zu. B bringt alle Bälle unter Kontrolle.
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Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Es geht lediglich darum, die Aufmerksamkeit der Spieler zu fordern und sie in spielgerechte Situationen zu lenken. Je mehr die Spieler stimuliert statt instruiert werden, umso mehr entwickelt sich ihre Spielintelligenz, die wir bei Xavi und Iniesta so sehr bewundern.

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Bildquelle: Urheber: vadymvdrobot / 123RF Standard-Bild