Mit Power in die Rückrunde

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Dieser Beitrag ist in der fussballtraining-Ausgabe 1+2/2011 erschienen.

Ein komplettes Athletikprogramm für die Vorbereitung auf die zweite Saisonhälfte

Ein ausdifferenziertes Athletikprogramm gehört heutzutage in jeden modernen Fußballtrainingsplan. Der Sportwissenschaftler Stefan Patra ist Konditionstrainer beim Hamburger Oberligisten Barmbek-Uhlenhorst (HSV BU) und stellt in diesem Beitrag ein sechswöchiges Athletikprogramm für die Rückrundenvorbereitung vor.

Der Begriff Plyometrie – der zu einem Trainings-Schlüsselwort in den Neunzigern wurde – spielt dabei eine besondere Rolle. Diese Trainingsmethode beruht auf sehr schnellen, explosiven Übungen, um den Kraft-Output und damit die Fähigkeit der Muskeln, schnell zu kontrahieren, zu verbessern. Von einem Spieler, der diese Übung schneller als andere ausführt, sagt man demnach, er habe mehr ‘Power’. Diese Leistungsfähigkeit kitzelt Patra zusätzlich mit einem wöchentlichen Sling-Training heraus. Mittels eines kompletten Trainingsplans zeigt er detailliert auf, in welcher Einheit welche Übung wie oft durchgeführt werden muss.

Reaktivkraft als finaler Trainingsinhalt

Ziel einer Rückrundenvorbereitung ist es immer, unsere Spieler optimal auf die zweite Saisonhälfte vorzubereiten. Dazu gehört neben einer Verbesserung der technischen und taktischen Fähigkeiten ebenso die Erwartung, dass unsere Spieler ausdauernder, schneller, kräftiger, beweglicher und verletzungsresistenter werden. Dieser Beitrag gibt Anregungen für ein athletisches Training, mit dem jeder einzelne Spieler beste Voraussetzungen schafft, all diese oben genannten Ziele zu erreichen.

Physikalisch betrachtet ist Leistung (Power) nichts anderes als Arbeit pro Zeit. Der Spieler muss seine Kraft also über eine bestimmte Laufdistanz in möglichst kurzer Zeit aufwenden, um leistungsfähiger zu sein. Im Fußball sind diese Wegstrecken meist nicht länger als 30 Meter. Oft entscheiden schon die ersten fünf Meter über einen Torerfolg und somit über Sieg und Niederlage. Nun wollen wir unsere Spieler aber nicht durch Muskelwachstum stärker machen – nebenbei bemerkt würde dies sie ohnehin eher langsamer machen. Vielmehr ist eine bessere Koordination komplexer Muskelsysteme oder -ketten (intermuskuläre Koordination) verantwortlich für eine Verbesserung der Kraftentwicklung. Finaler Trainingsinhalt von Spielsportarten muss demnach das Training der Reaktivkraft (Schnellkraft) sein. Wir trainieren also Reaktivkraft im Spannungsfeld des Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ).

Verbesserungen durch plyometrisches Training

Das Prinzip der Plyometrics beruht auf nichts anderem als einem sich zunächst rapide dehnenden Muskel, der im Anschluss kräftig kontrahiert wird. Ein einfaches Beispiel ist das Laufen: Bei jedem Schritt wird exzentrisch abgebremst und die elastische Muskulatur gedehnt. Dies ermöglicht einen erhöhten Kraftstoß für die daran an – schließende konzentrische (streckende) Phase der Bewegung. Je besser dieser Ablauf koordiniert ist, desto schneller kann der Sportler laufen. Diese Verbesserung wollen wir mit dem plyometrischen Training erreichen. Es schließt unterschiedliche Sprünge, Sprints und Bewegungen ein, welche dem untrainierten Körper zunächst sogar schaden können. Selbst unsere gut trainierten Oberliga-Fußballer klagten nach den ersten plyometrischen Übungen am folgenden Tag über Muskelkater.

Zuerst die Grundlagen schaffen!

Es ist also notwendig, einige vorbereitende Grundübungen zu erlernen, welche optimal auf das anschließende plyometrische Training vorbereiten. Treten Ihre Spieler also das erste Mal mit Plyometrics in Kontakt, gehören diese Grundübungen zum Standardprogramm der ersten beiden Trainingswochen in der Rückrundenvorbereitung (siehe Info 1). Ab der 3. Woche werden sie dann ins Aufwärmprogramm integriert. Zudem ist es ein angenehmer Nebeneffekt, dass sie auch sehr gut auf Wettkampfsituationen vorbereiten. Daher bauen wir die Grundübungen zusätzlich in jedes Warm-Up vor einem Spiel ein.

Übungen für Unter- und Oberkörper

Die Plyometrics teilen wir in Übungen für den Unterkörper und Übungen für den Oberkörper auf. Auch hier gilt zunächst das langsame Heranführen als Grundprinzip:

• Mit den Basisübungen anfangen.

• Die Intensität nur langsam steigern (Regel: 3 bis 5 Wiederholungen beim Warm-Up, ca. 10 Wiederholungen beim Krafttraining).

• Nicht alle Übungen in einer Einheit, sondern variieren.

Bei 4 Trainingseinheiten pro Woche oder gar zwei an einem Tag ist auch ein Split-Training (Ober- und Unterkörper an aufeinander folgenden Tagen) sinnvoll. Zunächst sollen die Übungen isoliert erlernt werden (siehe Tabelle 1, Seite 72/73).

Hinweis:

Die Übungen werden im Praxisteil in Basisübungen (I) und Fortgeschrittenenübungen (II) unterteilt. Die Intensität der Plyometrics ist nach jedem Testspiel in der Vorbereitung unbedingt zu reduzieren. Die Plyometrics der vorletzten Wochen können wie im weiteren Saisonverlauf in Parcours, Zirkel oder sportartspezifischen Übungsformen (Schuss, Flanke, Pass) eingebaut werden. Wie dies im Detail abläuft, wird in der nächsten ft-Ausgabe erläutert.

Sling-Training:

Spiel mit dem eigenen Körpergewicht

Ergänzend zu den Grund- und den plyometrischen Übungen führen wir einmal in der Woche ein Sling-Training durch. Bei diesen Einheiten hängen Arme oder Beine in einem instabilen Schlaufen-Seil- System, wofür man allerdings eine stabile Aufhängung benötigt. Die gelenknahen, lokalen, stabilisierenden Muskeln reagieren viel stärker auf schaukelnde, wackelnde Unterlagen als auf festen Boden. Im Vergleich zu herkömmlichen Athletikübungen ist das Sling-Training also wesentlich anstrengender und damit effektiver. Es werden außerdem lange Muskelketten angesprochen, was beim normalen Krafttraining an Geräten eher nicht der Fall ist. Eine verbesserte Tiefenstabilität trägt hier nicht nur zu einer Leistungverbesserung bei, sondern verringert auch erheblich die Verletzungsanfälligkeit. Ein Beispiel aus der Praxis: Beim letzten Vorrundenspiel waren die Bedingungen durch einen vereisten Boden sehr schlecht. Während der Gegner große Probleme damit hatte, zeichneten sich unsere Spieler durch eine wesentlich bessere ‘Standfestigkeit’ aus – ein Ergebnis des verbesserten intramuskulären Zusammenspiels.