Von Hasen und Igeln

Im siebten Clásico des Jahres 2011 schaut zum sechsten Mal Real Madrid in die Röhre. Nur im relativ unbedeutenden Pokalendspiel konnte die Mannschaft von José Mourinho gewinnen. Egal, was der Portugiese auch versucht – Pep Guardiola und sein FC Barcelona sind immer schon darauf vorbereitet.

Als die Schmach von der verpassten Meisterschaft für Madrid im April dieses Jahres gerade einmal vier Tage alt war, da dachten viele nach dem 1:0 im Finale der Copa Del Rey, dass Real nun auch alles daran setzen würde, den Erzrivalen Barça nun auch aus der Champions League hinauszuwerfen. Doch das Gegenteil war der Fall. Ohne Mut zum Offensivfußball hatte Mourinho sein Team in die Duelle gegen Barcelona geschickt, er bekam die folgerichtige Quittung – mit 0:2 und 1:1 schieden die Madrilenen aus. Dann, Mitte August, folgten Clásico fünf und Clásico sechs im Kalenderjahr 2011, der Supercup mit Hin- und Rückspiel. Real war über alle Maßen aggressiv, spielte heftiges Forechecking, sie gingen auf die Katalanen drauf wie verrückt, doch als sie merkten, dass das trotzdem nur für ein 2:2 im heimischen Stadion genügen würde, fingen sie an zu treten. Im Rückspiel in Barcelona (3:2 für die Hausherren) genau das Gleiche.

José Mourinho musste ein wenig verzweifeln. Welche Taktik er auch immer vorschrieb gegen Barça in seinen nun acht Partien gegen den Erzrivalen, sie nützte meistens nichts. Das blasse 1:0 im Pokalfinale gegen ein unmotiviertes Barcelona ist sein einziger Erfolg bisher, ein Erfolg, der angesichts der Schmach, die ihm gegenüber steht, nichts zählt. Meisterschaft verloren, Champions League verloren, den Supercup noch dazu. Wenn das 1:3 vom 10. Dezember, das Real im eigenen Stadion gegen Barcelona erdulden musste, etwas Gutes hat, dann nur, dass das beschämende 0:5 vom 29.11.2010 – erlitten im Punktspiel in Barcelona – jetzt wenigstens ein wenig in den Hintergrund rückt. Denn eine Heimniederlage ist noch schlimmer als eine Packung auswärts.

Früh gejubelt, die restliche Zeit vor Angst gezittert

Mourinho weiß das, und darum hatte er also in der jüngsten Auflage des Klassikers die schwere Aufgabe, eine Taktik zu erfinden, mit der er endlich auch einmal gewinnen würde gegen Guardiola. Also versuchte es der Portugiese mit einem Trick und ließ vorher verbreiten, mit drei Sechsern spielen zu wollen, um Barcelonas Mittelachse Piqué – Xavi – Iniesta – Fabregas auszubremsen, der Plan schien plausibel. Als dann doch Mesut Özil als Zehner auflief, war die Überraschung perfekt, und weil Özil, Ronaldo und Benzema gleich Druck ausübten auf die Barça-Verteidigung, lag der Ball nach 22 Sekunden schon im Tor des verhassten Konkurrenten aus Katalonien. 1:0 Benzema, Barça war in den Minuten danach wie betäubt, und Guardiola sah man, wie er mit den Armen fuchtelnd am Spielfeldrand dirigierte. Er wirkte etwas hilflos.

Doch in Wahrheit hatte Guardiola soeben die Antwort gefunden, die Mourinhos Taktik ab der 15. Minute so gefährlich aussehen ließ wie einen altersschwachen Rottweiler, der sich zitternd vor Angst in sein Hundehäuschen verzieht, sobald Nachbars Katze durch die Hecke kommt. Guardiola hatte nämlich gemerkt, dass die Anspiele in die Spitze an jenem Tag bei Alexis Sanchez besser aufgehoben waren als bei Messi, der sich immer mindestens zweier Gegenspieler erwehren musste (und kurz darauf dennoch so viel Platz hatte, dass er aus dem Mittelfeld das 1:1 durch eben Sanchez perfekt vorbereiten konnte). Ab da spielte fast nur noch Barcelona, die „Blaugrana“ hatten 60 Prozent Ballbesitz und Real erstarrte wie das Kaninchen vor der Schlange.

Mourinhos Aktionismus

Guardiola benötigte ab sofort keine taktischen Korrekturen mehr, Barça genügte es, so zu spielen, wie Barça immer spielt, um Madrid klar zu beherrschen. Mourinho sah man in der zweiten Halbzeit hin und wieder regungslos und mit versteinerter Miene am Spielfeldrand stehen, er hatte für Guardiola keine Antwort mehr. Den ersten Wechsel, den der Portugiese vornahm, konnte man noch nachvollziehen, Kaka kam in der 59. Minute für den schwachen Özil. Dass Mourinho dann Khedira für Lass Diarra (64. Minute) und Higuain für di Maria brachte, war indes kaum nachzuvollziehen. Er hätte das Wechseln genauso gut bleiben lassen können, hatte aber wohl Angst vor der Sportpresse der Hauptstadt. Also verfiel er in Aktionismus.

José Mourinho muss sich Pep Guardiola gegenüber vorkommen, als würde er die Rolle des Hasen in der Fabel haben, der gegen den Igel immer verliert – weil der Igel immer schon angekommen ist. So, wie Guardiola immer weiß, wie er Barça gegen Real einzustellen hat. Die taktischen Winkelzüge des Barça-Trainers sind verblüffend, er muss aber nicht einmal einen Spieler einwechseln dafür. Mit zwei, drei kurzen Handzeichen und Unterredungen mit seinem Mastermind auf dem Platz, Xavi, schaffen es die Katalanen blitzschnell, die entscheidenden Räume für den Gegner dicht zu machen und gleichzeitig eigene Räume zu schaffen. Man darf schon gespannt sein, was sich Mourinho für den kommenden Clásico im April überlegen wird. Eine neuerliche Pleite mit vielen Gegentoren kann er sich nicht erlauben, so viel ist sicher. Möglich, dass er es wieder mit einer extrem defensiven Variante probiert, so wie in den beiden Begegnungen in der Champions League gegen Barça im Frühjahr. Es ist jedoch zu vermuten, dass er das Gefühl, der Hase zu sein, der stets als Zweiter ankommt, fürs Erste nicht loswird.