Elfter Feldspieler bringt den Vorteil
Das dürfte taktisch so nicht abgesprochen gewesen sein: weil Manuel Neuer als elfter Feldspieler, fast als Libero hinter der Abwehr, die zahlreichen Fehler seiner Vorderleute ausbügelt, zieht die DFB-Elf nach Verlängerung gegen Algerien ins Halbfinale ein.
Dabei hatte Löw an der taktischen Grundordnung nichts geändert, auch gegen den krassen Außenseiter aus Nordafrika hielt er am vermeintlich eingespielten System festgehalten. Die personellen Veränderungen – Boateng ersetzte Hummels auf der Vier, Mustafi rückte auf die Rechtsverteidigerposition, Götze spielte für Podolski – zogen keine taktischen Umstellungen nach sich. Umso erstaunlicher, dass der deutschen Mannschaft jeglicher Spielwitz abhanden gekommen war, Algerien verengte die Räume zwar ungemein, doch Deutschland agierte zu selten mit Tempo oder direkten Kombinationen. Vor allem Götze tauchte komplett ab, doch auch in der Spieleröffnung aus der Abwehr heraus über Lahm, Schweinsteiger oder Kroos kam die Mannschaft maximal bis zum Strafraum. Wenn überhaupt.
Denn mit zunehmender Spieldauer wurden die Nordafrikaner mutiger, fingen die Pässe aus dem deutschen Mittelfeld ohne Probleme ab und initiierten Konter, indem sie lange Bälle auf Feghouli oder Slimani spielten, die die deutsche Defensive immer wieder vor große Probleme stellten. Mertesacker, Mustafi, Höwedes und Boateng ließen sich von den Gegenspielern überlaufen, immer wieder musste der als Libero hinter der Abwehrkette (!) agierende Neuer weit draußen vor dem Strafraum klären – ansonsten wären die algerischen Stürmer frei vor dem Tor aufgetaucht. Als der Ball nach einer Flanke und einem Kopfball von Slimani doch im Tor lag und die Führung für den Underdog gar nicht unverdient gewesen wäre, entschied das Gespann um Schiedsrichter Ricci auf Abseits – zwar zu Recht, aber es waren nur wenige Zentimeter. Wieder hatte Boateng zentral seinen Gegner aus den Augen verloren, Mustafi die Flanke nicht verhindert und auch Neuer wäre absolut machtlos gewesen. Im Anschluss daran stabilisierte sich die deutsche Defensive zwar, vorne gab es zumindest Halbchancen.
Khedira bringt Präsenz ins Mittelfeld
Doch war das alles noch nicht genug, um gefährlich zu werden. Erst mit der zweiten Halbzeit löste Löw die statische Offensive auf, indem er Schürrle für den völlig deplatzierten Götze brachte. Schürrle tauchte sofort ein in die Zwischenräume der algerischen Abwehr, zeigte sich auch ab und an im Strafraum – Positionen, auf denen zuvor Götze nicht zu sehen war, er hatte sich zu sehr im sowieso schon sehr engmaschigen Mittelfeld bewegt. Nach 70 Minuten musste Löw reagieren, als Mustafi sich verletzte: Lahm rückte nach rechts hinten, für ihn besetzte Khedira nun die Sechs neben Schweinsteiger. Sofort war spürbar mehr körperliche Präsenz im deutschen Mittelfeld, auch weil Khedira sich mehr in die Offensive einschaltete als zuvor Lahm.
Tore fielen jedoch keine, es kam zur Verlängerung, nachdem Neuer in der 88. Minute noch einen gefährlichen Fernschuss entschärfte. Direkt nach Wiederanstoß war es Schürrle, der eine Direktkombination von links über Höwedes und Müller verwertete – ein Schock für Algerien, das sich allerdings wieder berappelte und den Ausgleich suchte, bis Özil (auch er kaum zu sehen) in der 120. Minute für die Entscheidung sorgte. Bezeichnend für den Auftritt der Deutschen war, dass auch dann noch keine Ruhe einkehrte – und Algerien praktisch mit dem Schlusspfiff noch einmal auf 1:2 herankam.