Damals! Wie Deutschlands 4-3-3 „Long-Line-Brasil“ pulverisierte
Taktikreport Fußball-Klassiker: WM-Halbfinale 2014 – Brasilien gegen Deutschland
Nachdem die aktuelle Lage keine Live-Spiele zulässt, die wir für euch analysieren können, beschäftigen wir uns mit Fußball-Klassiker und arbeiten große Spiele der vergangenen Jahre taktisch nochmal auf.
Die Weltmeisterschaft 2014 und das dortige Halbfinale zwischen Gastgeber Brasilien und Deutschland sollte mit einem historischen Sieg enden. Doch wie kam es dazu, dass die spielstarken Brasilianer innerhalb weniger Minuten vom deutschen derart „überrollt“ werden konnten?
Brasilien anfangs leidenschaftlich im 4-2-3-1
Die brasilianische Nationalmannschaft spielte in der Grundordnung im gewohnten 4-2-3-1, wobei der verletze Neymar ersetzt werden musste. Die Spielidee, der technisch guten und spielstarken Seleção, ging in der Anfangsphase vollständig auf. So spielten sie mit einer aggressiven, leidenschaftlichen Zweikampfführung und störten den Gegner energisch.
Bei Ballgewinn schalteten die Brasilianer schnell um und versuchten durch Long-Line-Pässe oder diagonale Schnittstellen Pässe in den Rücken der Außenverteidiger zukommen. So wollten sie die Innenverteidiger aus der Kette ziehen und diese in ein Laufduell gegen ihre schnellen Außenspieler schicken. Lediglich die Abschlussgefahr bzw. Genauigkeit im letzten Pass bzw. im Abschluss fehlte in der Anfangsphase.
Deutschland im 4-3-3 mit Herzstück im Zentrum
Im Grundsystem spiele Deutschland in der Offensive ein 4-3-3. Wobei Schweinsteiger auf der 6er Position spielte. Kroos und Khedira pendelten zwischen 10er und 8er Position. Gegen den Ball besetzten vor allem eben genannte drei Spieler die Zentrumspositionen sehr variabel. Dennoch spielte das DFB-Team gegen den Ball zumeist ein 4-4-2. Dieses wurde situativ auch mal in ein 4-4-2 mit Raute variiert, doch die Grundidee blieb gleich.
Vor allem defensiv waren die Deutschen gut auf die Brasilianer eingestellt. So störten sie mit situativem Forechecking immer wieder den Spielaufbau des Gegners. Das Zentrum wurde gut verdichtet und das Zusammenspiel zwischen Innenverteidigern und Sechser funktionierte bei hohen Bällen über das Zentrum auf den Stürmer fehlerlos, sodass man immer Doppeln konnte.
Lehrbuchreif! Das Freiblocken Müllers
Durch den 1:0 Führungstreffer war auch die letzte Nervosität der Deutschen verflogen und es folgte ein befreites Aufspielen, darauf waren die Brasilianer nicht vorbereitet. Das „Freiblocken“ von Müller, ein bewährtes taktisches Mittel bei Standardsituation, kann als Schlüsselmoment angesehen werden. Das funktionierte in diesem Fall lehrbuchreif und war für dieses Spiel ein „Dosenöffner“.
Mit dem ersten Tor verschärften die Deutschen deutlich sichtbar ihre Gegenpressing-Aktion bei Ballverlusten und das Forechecking bei gegnerischem Spielaufbau wurde ebenso aggressiver. Auch die Offensivaktionen wurden zunehmend mehr und es gelang der Seleção immer weniger, eigene Angriffe gefährlich vorzutragen.
Brasilien durch 2. Tor endgültig geschockt
Mit dem zweiten Tor für das DFB-Team fiel die brasilianische Auswahl in ein unerklärliches Loch. Die Körpersprache, vor allem der Defensivspieler, veränderte sich negativ. Die anfänglich angesprochene leidenschaftliche Zweikampfführung wurde immer passiver. So gelang es den Brasilianer keine Zweikämpfe mehr anzunehmen bzw. zu gewinnen. Der Druck der Deutschen wurde aufrechterhalten und so folgten innerhalb weniger Minuten auch die Tore drei, vier und fünf.
Deutschland verwaltet, Brasilien kämpft
Am Anfang der zweiten Halbzeit verwaltete die deutsche Mannschaft größtenteils das Spiel und gewährte den Brasilianer mehr Spielanteile, was auch zum Herausspielen einiger Torchancen führte. Die Deutschen standen defensiv im 4-4-2, verschoben ballorientiert und setzten Akzente mit Kontern. In der zweiten Halbzeit wirkten die Brasilianer wieder wach und zeigten Spielfreude.
Mit der Einwechslung von u.a. Schürrle erhöhten die Deutschen das Tempo nochmal und so wurden auf beiden Seiten Torchancen kreiert.
Fazit:
Das DFB-Team erlebte nach dem Führungstreffer 20 perfekte Minuten und deklassierte die Seleção im eigenen Land. Ausgangspunkt war die aggressive Störung des brasilianischen Spielaufbaus, die ihrerseits das deutsche Forechecking mit langen Pässen „zerschneiden“ wollten – was gründlich misslang.
Der 7:1 Sieg der Deutschen ist nicht nur der höchste Sieg in einem WM-Halbfinale und die höchste Niederlage einer brasilianischen Mannschaft bei einem Turnier, sondern auch eine großartige Mannschaftsleistung mit einer Harmonie aus offensiver und defensiver Spielidee.