Mit Disziplin und gnadenloser Effizienz
Die Erfolgsserie von Eintracht Braunschweig ist beileibe kein Produkt des Zufalls, sondern Ergebnis konzentrierter und zielgerichteter Arbeit. Die Art von Fußball, wie die Braunschweiger ihn pflegen, dürfte die Mannschaft nach dem Abstieg von 1985 erstmals wieder in die höchste Spielklasse in Deutschland führen. Maßgeblichen Anteil daran hat der erst 39 Jahre alte Trainer Torsten Lieberknecht.
Wenn man derzeit über Eintracht Braunschweig spricht, muss man immer auch ein schlimmes Thema anschneiden. Es geht um einen Teil der Fanszene, der unverhohlen rechtsradikalen Ansichten frönt und der die überwiegende Mehrheit der Eintracht-Anhänger damit, jedenfalls zurzeit, in den Schatten stellt. Die Mitglieder einer Initiative aus dem Umfeld, die sich offen gegen rechts ausspricht, wurden vor kurzem von den Neonazis verbal mit Totschlag bedroht – im eigenen Stadion. Und einige Verantwortliche des Vereins spielten diese Lage herunter, indem sie sagten, dass man der Eintracht lediglich ein „Naziproblem“ unterschieben wolle, was klar macht, dass ein sensibilisierter Umgang mit diesem Thema einfach mal komplett anders aussieht.
So schlimm diese Tatsachen einerseits sind, so blendend – und eigentlich gar nicht dazu passend – gestaltet sich momentan die sportliche Situation in Braunschweig, wobei natürlich erwähnt werden muss, dass Trainer und Spieler für die maßlose Dummheit der rechten Anhänger nichts können. Sie sind Angestellte des Vereins, und dieser Verein muss solche Probleme lösen können, und zwar qua Vorstand, Präsidium, Aufsichtsrat oder in letzter Instanz auch unter Hinzunahme des Rechtsstaats und seines exekutiven Gewaltmonopols in Form der Polizei. Die Mannschaft von Torsten Lieberknecht, gerade einmal 39 Jahre alt, lässt sich von all dem nichts anmerken, sie eilt – jedenfalls fast nur – von Sieg zu Sieg und steht nach zehn Spielen mit acht Siegen und zwei Remis, damit also 26 Punkten, an der Spitze der Zweitligatabelle. Und es sieht nicht so aus, als müsste man damit rechnen, dass sich daran bald etwas ändern wird.
Der romantischere Weg
Die Eintracht ist gleichzeitig das stärkste Heim- und die stärkste Auswärtsteam, sie hat das mit Abstand beste Torverhältnis und erst ganze drei Gegentreffer in zehn Partien hinnehmen müssen. Lieberknecht sagt aber, dass die Tabelle nur ein Nebenprodukt der Arbeit sei, die sein Trainerteam und er mit der Mannschaft leisten. Die Spielweise ist „ruhig, diszipliniert und gnadenlos effizient“, urteilt die Braunschweiger Zeitung; effizient vor allem auch deswegen, da die Mannschaft ihre Tore zur Not eben auch nach Standards erzielt. Und Treffer aus dem Spiel heraus gelingen sowieso so gut wie immer.
Nicht viele neue Spieler haben im Sommer den Weg nach Braunschweig gefunden, doch diejenigen, die gekommen sind – allesamt aus unterklassigen Ligen –, haben sich schnell zurechtgefunden, allen voran Kevin Kratz, Orhan Ademi und Jonas Erwig-Drüppel. Abgesehen davon, dass für namhafte Zugänge sowieso kein Geld flüssig war, hat Lieberknecht flugs die Idee entwickelt, die aus der Oberliga zur Eintracht gewechselten Akteure deutlich zu motivieren. „Wer aus der Oberliga kommt und in der zweiten Liga spielen darf, ist von ganz alleine motiviert“, schrieb kürzlich die Süddeutsche Zeitung zu diesem Thema, und Lieberknecht steuert notgedrungen bei, dass man in Braunschweig davon überzeugt sei, dass es „auch diesen, vielleicht etwas romantischen Weg“ gebe.
Das Hauptaugenmerk liegt auf der Abwehr
Wie akribisch dieser Trainer arbeitet, zeigt sich an einer kleinen, aber umso bedeutenderen Episode aus der Vorbereitung auf die aktuelle Saison. Weil die Eintracht am ersten Spieltag gegen Absteiger Köln ran musste, fuhr eine Abordnung der Niedersachsen nach Niederösterreich, um dort ein Testspiel des FC gegen Slavia Prag zu begutachten. Weil die Kölner nicht mit Beobachtung rechneten, probierten sie viel aus, zum Beispiel das Zuschnappen der Abseitsfalle nach einem aus dem Halbfeld getretenen Freistoß der Tschechen. Es funktionierte. Als der FC später, im ersten Punktspiel der Liga, das gleiche gegen die Eintracht machen wollte, hatte Lieberknecht seinen Männern vorher deutlich gemacht, wie die Kölner in so einer Situation spielten – und es so geschafft, den simplen Trick der Rheinländer aufzuheben. Die Braunschweiger siegten mit 1:0, der Treffer fiel, natürlich, nach einem Freistoß, der aus dem Halbfeld kam.
Dass zum längerfristigen Erfolg mehr gehört, als nur die Schwächen des Gegners auszunutzen, ist auch in Braunschweig selbstverständlich, und so legt Lieberknecht sein Hauptaugenmerk auf eine stabile Abwehr, in der der frühere Stuttgarter Ermin Bicakcic noch ein bisschen herausragt. Und wenn es spielerisch, wie neulich gegen Bochum, erst einmal nicht funktioniert, helfen Leidenschaft, Aggressivität und Laufbereitschaft – sowie hin und wieder ein Tor aus einer Standardsituation, das spielerische Element kommt dann irgendwann fast von allein. Alles in allem sieht es stark danach aus, dass die Eintracht in der Lage dazu ist, die zweite Liga auf Dauer anzuführen und am Ende direkt aufzusteigen. Für die echten Anhänger des Vereins wäre das sicher die beste Lösung im Hinblick auf die Probleme mit dem rechtslastigen Teil des Publikums. Denn je mehr Öffentlichkeit herrscht und je mehr Medienvertreter nach Braunschweig kommen, desto größer dürfte die Motivation des Vereins sein, diese Probleme zu lösen. Und mehr Öffentlichkeit als in der Bundesliga geht nun einmal nicht.