„Packing“ oder wie wichtig effizientes Passspiel im Fußball ist

Im Rahmen der Berichterstattung der ARD während der Spiele der EURO 2016 ließen die Moderatoren erstmals ein statistisches Werkzeug in ihre Analysen einfließen: das „Packing“. Doch was ist das genau und kann es die statistische Erfassung des Fußballs revolutionieren?

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Was ist Packing?

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Unter Packing versteht man eine Methode, mit der während eines Fußballspiels bestimmte Messwerte ermittelt werden können. Die Basis dafür bildet die Überlegung, dass es vor allem dann zu einer zwingenden Torchance kommen kann, wenn sich möglichst viele gegnerische Spieler fernab des Balles befinden. Dies kann entweder durch einen öffnenden Pass oder durch ein erfolgreiches Dribbling geschehen. Beim Packing wird nun betrachtet, wie viele Gegenspieler bei einem Pass über- bzw. wie viele bei einem Dribbling ausgespielt wurden. Je mehr dies sind, desto mehr potentielle Gefahr wird durch diesen Angriff ausgeübt. Denn durch den Pass oder das Dribbling werden gegnerische Spieler aus der Partie genommen und können dadurch den Angriff nicht mehr stören.

Wie wird die Packing-Rate ermittelt?

Um die für das Packing relevanten Messwerte zu erhalten, muss jede Aktion betrachtet werden, bei der der Ball in Richtung des gegnerischen Tores gebracht wird – sei es durch Pässe oder durch Dribblings. Pässe nach hinten oder zur Seite sind also für das Packing irrelevant. Wird nun ein Pass nach vorne gespielt oder macht sich ein Spieler mit dem Ball am Fuß auf den Weg in Richtung des gegnerischen Tores, dann wird betrachtet, wie viele Gegner dabei überspielt werden. Angenommen also, der Innenverteidiger schlägt einen langen Ball auf den offensiven Mittelfeldspieler, dann ist die Anzahl der gegnerischen Spieler, die der Ball dabei passiert, relevant für das Packing. Je mehr Spieler dies sind, desto höher ist der Packing-Wert. Es wird zudem ein Unterschied zwischen dem Überspielen eines beliebigen gegnerischen Spielers und dem Überspielen eines Verteidigers gemacht. Das ist durchaus logisch, wenn man bedenkt, dass ein Pass, mit dem der gegnerische Stürmer überspielt wird, bei weitem nicht so viel Gefahr verursacht wie einer, bei dem zwei Verteidiger aus dem Spiel genommen werden.

Weitere Werte, die im Rahmen des Packing ermittelt werden können, sind die Anzahl der Gegner, die der Empfänger eines erfolgreichen Passes aus dem Spiel genommen hat, sowie die Anzahl der Gegenspieler, die durch einen Ballgewinn unschädlich gemacht wurden, weil sie sich plötzlich hinter dem Ball befinden.

Wer hat das Packing „erfunden“?

Hinter dem Packing stehen der ehemalige Fußballprofi Stefan Reinartz und der noch immer aktive Spieler Jens Hegeler. Reinartz, Jahrgang 1989, lernte bei Bayer 04 Leverkusen das Fußballspielen und spielte bis 2015 für den Werksclub in der Bundesliga. Anschließend wechselte er zu Eintracht Frankfurt und beendete im Sommer 2016 seine Karriere. In Leverkusen spielte Reinartz bis 2014 mit dem 1988 geborenen Jens Hegeler zusammen. Der ging im Sommer 2014 zu Hertha BSC Berlin, wo er bis heute unter Vertrag steht. Im Januar 2014 begannen Reinartz und Hegeler damit, das Packing zu entwickeln, und gründeten dafür ihre Firma, die Impect GmbH.

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Was ist der Vorteil von Packing in Bezug auf andere Analyse-Ansätze?

Beim Fußball werden statistische Werte immer größer geschrieben. So bekommt man mittlerweile schon während eines Spiels Informationen darüber, wie viele Kilometer die Akteure gelaufen sind, welches Team häufiger in Ballbesitz ist und wie viele Ballkontakte ein einzelner Spieler hatte. Stefan Reinartz stellte bei all diesen Werten fest, dass sie nicht unbedingt eine Aussagekraft darüber besitzen, welche der beiden gegnerischen Mannschaften effizienter agiert. Hat also ein Team einen höheren Ballbesitzanteil als das andere, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass es auch gewinnt. Als Reinartz während der EURO 2016 das Studio der ARD besuchte und das Packing erklärte, benutzte er die Begegnung zwischen Deutschland und Brasilien im Halbfinale der WM 2014 als Anschauungsbeispiel. Damals führte die brasilianische Mannschaft die meisten statistischen Kategorien an und hatte beispielsweise mehr Ballbesitz, mehr Torschüsse und eine bessere Zweikampfquote als Deutschland.

Dennoch gewann die DFB-Elf überlegen mit 7:1. Ermittelt man allerdings für dieses Spiel die Packing-Werte, dann erkennt man, dass die deutsche Mannschaft dort klare Vorteile hatte. So überspielte sie 402 Gegenspieler gegenüber den 341, die Brasilien überspielte. Auch bei den überspielten Verteidigern führte Deutschland am Ende der Partie mit 84 zu 53. Demzufolge sagt der Packing-Wert theoretisch mehr über ein Fußballspiel aus als die üblichen Werte, die im Rahmen einer Analyse gemessen werden.

Kann man Packing auch im Amateurfußball messen?

Um das Packing zu betrachten, ist es dringend nötig, das zu analysierende Spiel aus einer geeigneten Kameraperspektive aufzuzeichnen. Denn nur so ist es möglich, jeden Pass und jedes Dribbling hinsichtlich der aus dem Spiel genommenen Gegner zu betrachten. Wenn dies gewährleistet ist, dann ist es kein Problem, auch eine Partie im Amateurbereich auf das Packing hin zu untersuchen.

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Was muss ein Spieler trainieren, um eine bessere Packing-Rate zu erzielen?

Da beim Packing die Anzahl der Gegenspieler gezählt wird, die bei einem Angriff aus dem Spiel genommen werden, liegt es auf der Hand, dass ein Spieler, der seine Packing-Rate verbessern möchte, vor allem an seinem Passspiel arbeiten muss. Wichtig sind dafür vor allem eine gute Übersicht und ein Blick für gut postierte Mitspieler. Denn auch wenn ein Pass lange in der Luft ist und das Potential Flugball1hat, einen guten Packing-Wert zu erzielen, ist er letztlich wertlos, wenn der Mitspieler ihn nicht erreicht. Umgekehrt sollte man wissen, wie gut die einzelnen Mitspieler in der Lage sind, einen Ball anzunehmen. Nur Spieler mit einer guten Technik können etwa einen hohen Pass aus der Luft pflücken und weiterverarbeiten.

Gibt es Experten, die sich negativ gegenüber dem Packing äußern?

Viele Experten sind begeistert von den Erkenntnissen, die durch das Packing gewonnen werden können, und auch so mancher Trainer und Team-Analyst greift auf die so ermittelten Werte zurück. Während der EURO 2016 gab es aber auch kritische Stimmen. Neben einigen Twitter-Nutzern, die sich über das Packing und die häufige Verwendung des Wortes durch den TV-Experten Mehmet Scholl lustig machten, hatte auch der Ex-Fußballprofi Oliver Kahn ein Problem mit der Analysemethode. So meinte Kahn, als Belgien in der Vorrunde gegen Italien zurücklag, per Twitter: „Aus meiner Sicht müssten die Belgier einfach nur ihre „Packingrate“ erhöhen …“ Und als die Belgier schließlich die Partie verloren hatten, legte Kahn nach und twitterte: „Glückwunsch an die Italiener! So Mehmet, jetzt erklär mir mal ganz genau die Packingrate…“

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Fazit: Ist die Packing-Rate wirklich die neue Erkenntnis, auf die alle gewartet haben?

Theoretisch bietet das Packing eine gute Möglichkeit, um die Offensivleistung einer Mannschaft oder eines einzelnen Spielers zu betrachten. Denn Reinartz und Hegeler haben recht: Wenn ein Pass vier Gegner überspielt, dann sind diese vier nicht mehr in der Lage, den Angriff zu verhindern, und umso weniger gegnerische Spieler stehen zwischen dem Ball und ihrem Tor. Allerdings ist das Einzige, was letztlich im Fußball eine Rolle spielt, das Erzielen von Toren. Wenn der Stürmer einer Mannschaft ein ums andere Mal frei vor dem gegnerischen Kasten scheitert, dann nützt es ihm und seinen Mannschaftskameraden nichts, dass sie durch gute Pässe hohe Packing-Werte erreicht haben – ebenso wenig wie die Zahlen in den Bereichen Ballbesitz oder Torschüsse. Sicher bringt das Packing neue Erkenntnisse für Trainer und Experten, aber wie so viele statistische Werte im Fußball hat es weniger Aussage als die Anzahl der erzielten Tore.

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