Ballbesitz oder Effizienz? – Zwei unterschiedliche Ansätze im Vergleich
Fußball ist ein sehr einfaches, aber zugleich auch ein sehr komplexes Spiel. Für Spieltheoretiker ist Fußball geradezu ein Albtraum, denn es gibt bislang keine Möglichkeit, das Spiel auch nur halbwegs umfassend mit theoretischen Mitteln zu erfassen. Deswegen gibt es auch keine absoluten Wahrheiten beim Fußball, schon gar nicht wenn es um Taktikfragen geht. Allerdings gibt es Erfahrungswerte und unzählige Spiele und Spielergebnisse, die ein Trainer als Basis für Entscheidungen heranziehen kann. Es gibt jedoch eine Frage, die vermutlich nie ganz zu klären sein wird: Ist eine Taktik, die auf Ballbesitz setzt, besser als eine Taktik, die auf Effizienz (Konter) setzt?
Keine klaren Ergebnisse in der Fußballgeschichte
Seit es den modernen Fußball gibt, gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze bei der Taktik. Die eine Taktik basiert auf der Idee, dass die eigene Mannschaft den Ball möglichst häufig haben sollte. Die andere Taktik basiert hingegen auf der Einsicht, dass es vor allem darum geht, Tore zu schießen. Der FC Bayern war über einen langen Zeitraum das Paradebeispiel für eine Philosophie, bei der Effizienz wichtiger ist als Ballbesitz bzw. schönes Spiel. Der FC Bayern München war früher dafür berüchtigt, scheinbar schlecht zu spielen und trotzdem zu gewinnen. Diese brutale Effizienz hat unter anderem auch dazu geführt, dass immer wieder vom angeblichen „Bayern-Glück“ gesprochen wurde.
Interessanterweise ist der FC Bayern München in der heutigen Form ein optimales Beispiel für eine Ballbesitz-Taktik. Schon unter Louis van Gaal und Jupp Heynckes legte der FC Bayern großen Wert darauf, den Ball möglichst lange in den eigenen Reihen zu haben. Auf die Spitze getrieben wird diese Philosophie unter Pep Guardiola. Der Erfolg der letzten Jahre zeigt, dass die Ballbesitz-Taktik ein sehr großes Erfolgspotenzial hat. Allerdings lässt sich als Gegenbeispiel anführen, dass der FC Bayern auch als effiziente Kontermannschaft sehr erfolgreich war. Das bekannteste Beispiel dafür aus der jüngeren Vergangenheit ist der Champions-League-Gewinn im Jahr 2001.
Warum sind beide Taktikansätze nahezu gleichwertig?
Es ist unmöglich zu sagen, welche Taktik besser ist. Ballbesitz hat sicherlich viele Vorteile. Nicht zuletzt fühlen sich Spieler besser, wenn sie häufig am Ball sind. Das Gefühl, das Spiel zu dominieren, ist für viele Spieler sehr wichtig. Der FC Barcelona hat aus diesem Ansatz eine ganze Vereinsphilosophie gemacht. Übrigens lässt sich der gesamte Taktikstreit auf das berühmte WM-Finale 1974 zurückführen. Die Niederlande waren damals mit Abstand die spielstärkste Mannschaft der Welt und dominierten das Finale über weite Strecken. Effizienter spielte aber die deutsche Mannschaft und stand deswegen am Ende als Gewinner auf dem Platz. Dennoch würde wohl niemand sagen, dass die Niederlande damals eine schlechte oder falsche Taktik gehabt hätten.
Bei zwei Mannschaften, die technisch, konditionell und auch sonst in allen Belangen mehr oder weniger gleichwertig sind, ist es nicht vorherzusagen, ob die Mannschaft mit der Ballbesitz- oder der Effizienz-Taktik im Vorteil ist. In solchen Fällen entscheiden Faktoren wie die Tagesform, das Glück und andere Unwägbarkeiten. Das mag für Trainer schwer zu akzeptieren sein, aber selbst der FC Barcelona war auch unter Pep Guardiola als unumstritten beste Mannschaft der Welt nicht dazu in der Lage, die Champions League jedes Jahr zu gewinnen. Der FC Barcelona scheiterte dabei immer an Mannschaften, die den genau gegenteiligen Taktikstil pflegten. Nicht zuletzt ist José Mourinho mit einer extrem effizienten Taktik schon seit vielen Jahren überaus erfolgreich.
Taktische Flexibilität als Königsweg
Da weder das eine noch das andere taktische System klar überlegen ist, spricht einiges dafür, beide Varianten zu nutzen. Es ist immer gut, wenn eine Mannschaft nicht nur einen Spielstil beherrscht. Beispielsweise kann es für eine Mannschaft, die den Ballbesitz bevorzugt, gegen eine ähnlich eingestellte Mannschaft sehr gewinnbringend sein, zumindest zwischenzeitlich sehr defensiv zu stehen und auf Konter zu spielen. In den letzten Jahren setzt sich bei Trainern zunehmend die Erkenntnis durch, dass es viel wichtiger ist, flexibel auf aktuelle Situationen zu reagieren, als eine einzige Taktik stur durchzuhalten. Allerdings ist es eine Herkulesaufgabe, einer Mannschaft mehrere taktische Varianten beizubringen.