Geniale Raumaufteilung! Liverpools Spielaufbau im 4-3-3 System

Der Artikel beleuchtet das 4-3-3 Spielsystem des FC Liverpool, welches Jürgen Klopp als Trainer perfektioniert hat. Eine der großen Stärken des Spielsystems ist die flexible Anpassung an gegnerische Spielformationen. Im Anschluss an die Analyse beispielhafter Spielsituationen wird eine exemplarische Trainingseinheit vorgestellt, die den Spielaufbau im 4-3-3 optimiert.

Seitdem Jürgen Klopp Trainer in Liverpool ist, läuft es bei den „Reds“ richtig rund – es werden wieder Titel mit in die Arbeiterstadt im Nordosten von England gebracht. Klopp konnte nicht nur 2019 die Champions League gewinnen, sondern ein Jahr später auch die englische Meisterschaft. Ein Titel, auf den die Liverpooler-Fans ganze 30 Jahre warten mussten. Seither genießt der Trainer aus dem Schwarzwald fast schon einen Legenden-Status bei den „Reds“.

Liverpool gehört wieder zur europäischen Fußball-Elite

Klopp hat es geschafft, in Liverpool eine Mannschaft zusammenzustellen und zu formen, die sich wieder mit den besten Teams in Europa messen kann. Das liegt zum Einen an namenhaften Verstärkungen, die hervorragend zur Fußballphilosophie von Klopp passen, und zum Anderen auch an dem Trainer selbst. Dieser konnte in den bisherigen 6 Jahren in Liverpool nicht nur seine Mannschaft, sondern auch sich selbst weiterentwickeln.

Liverpools Pressing und Gegenpressing nach wenigen Jahren Weltklasse

In den ersten Jahren begeisterte Klopp die Anhänger des „Liverpooler Football Clubs“ vor allem in den Umschaltmomenten und im Spiel gegen den Ball. Klopps hohes Angriffspressing im 4-3-3 sorgte auch gegen spielstarke Teams für viele Balleroberungen im letzten Drittel. Nach den Balleroberungen war der Gegner meist noch breit aufgefächert und das Sturm-Trio Firmino, Mané und Salah konnte seine Stärken ausspielen.

Natürlich überzeugt Klopp bei den „Reds“ auch in den Umschaltmomenten nach eigenen Ballverlusten – immerhin hat der deutsche Trainer eine Form des defensiven Umschaltens wie kein Zweiter geprägt – die Rede ist vom „Gegenpressing“. Diese Form des Umschaltens war bereits in Klopps Zeit beim BVB eine Erfolgsgarant und ist es auch noch in Liverpool.

Was ist mit Klopps Ballbesitzfußball?

Nachdem nun viele lobende Worte über das Spiel gegen den Ball und das Umschalten von Jürgen Klopp gefallen sind, fällt auf, dass eine Ballbesitzphase fehlt – das Spiel mit dem Ball. Genauer gesagt, das Ballbesitzspiel gegen einen geordneten Gegner. Um Liverpools und damit Klopps Vorgehen in dieser Spielhase kennenzulernen, möchten wir den Spielaufbau der „Reds“ mit euch genauer unter die Lupe nehmen – und zwar anhand eines Auswärtsspiels gegen Manchester United.

Liverpools Spielaufbau im 4-3-3 gegen Manchester United

Die „Reds“ agierten gegen Manchester United in einem 4-3-3. Bei eigenem Ballbesitz schoben die beiden Außenverteidiger Trent Alexander-Arnold und Robertson eine Ebene nach vorne. Im zentralen Mittelfeld agierte Liverpool mit dem Sechser Henderson und den Achtern Keita und Milner. Während sich Henderson im Spielaufbau meist kurz anbot, agierten die beiden Achter tiefer, im Rücken des gegnerischen Mittelfelds. Die beiden Außenstürmer hielten sich in aller Regel in den Halbräumen auf, wodurch die Außenbahn meist nur durch die Außenverteidiger besetzt war. Gegen diese Anordnung im Spielaufbau von Liverpool verteidigte Manchester United in einem 4-2-3-1.

Liverpools Spielaufbau (grau) im 2-3-2-3 gegen Manchester United (rot) 4-2-3-1

 Der Spielaufbau beim 0:1 Führungstreffer für Liverpool

 Alisson spielt den Ball zu dem linken Innenverteidiger Virgil van Dijk.

  • In der Ausgangssituation presst Manchester United relativ hoch. Dadurch kann Liverpool den Torhüter Alisson in den Spielaufbau miteinbinden.
  • Folglich hat Liverpool 3 Aufbauspieler in der ersten Ebene und die Innenverteidiger können deutlich breiter agieren.
  • Durch diese 3 Spieler im Aufbauspiel werden die Wege für den gegnerischen Mittelstürmer Cristiano Ronaldo sehr weit zu den Innenverteidigern.
  • Dadurch war es für Manchester nahezu unmöglich, den Spielaufbau auf eine Seite zu isolieren. Liverpools Innenverteidiger haben genug Zeit, um ein Anlaufen des Mittelstürmers über den Torhüter aufzulösen. So hatte Liverpool genug Zeit, einen Angriff gut vorzubereiten.
  • Außerdem hat Ronaldo durch die breite Positionierung oftmals keinen Zugriff auf die beiden Innenverteidiger. Dadurch konnten van Dijk und Konate oftmals ungestört andribbeln. Die äußeren Mittelfeldspieler waren dann dazu gezwungen, die Innenverteidiger zu stellen.

Van Dijk bindet den äußeren Mittelfeldspieler von Manchester United

Innenverteidiger Van Dijk dribbelt an und spielt den Ball weiter zu dem linken Verteidiger Robertson

  • Van Dijk dribbelt nach dem Pass von Alisson an. Der rechte offensive Mittelfeldspieler ist gezwungen, den Innenverteidiger zu stellen, da die Wege des 10ers und des Mittelstürmers von Manchester United zu weit zum Ball sind.
  • Der linke Verteidiger Robertson bietet sich in exakt auf der richtigen Höhe an. Er löst sich aus dem Deckungsschatten des rechten, offensiven Mittelfeldspielers von United. Zeitgleich bleibt Robertson aber so hoch wie möglich und damit im Rücken des Gegenspielers.
  • Die 3 Stürmer von Liverpool agieren auf der letzten Linie des Gegners und halten auf der linken Seite sehr kurze Abstände zueinander. Zusammen mit dem 8er Milner hat Liverpool eine 4-gegen-3 Überzahl auf der ballnahen Seite.
  • Rechtsverteidiger Alexander-Arnold ist auf der ballfernen Seite nach vorne geschoben. Damit hat Liverpool auch auf der letzten Linie eine 4-gegen-3-Überzahl.

Jota zieht gegnerische Kette weiter auseinander

Robertson dreht auf, wird von dem Rechtsverteidiger von Manchester United angelaufen und hat nun mehrere Optionen, den Ball weiter in die Tiefe zu spielen.

  • Durch die Überzahl in der Nähe des Balles und das frühzeitige Rausrücken des Rechtsverteidiger von United hat Robertson gleich 4 Optionen, um das Spiel fortzusetzen.
  • Option 1: Jota setzt sich nach außen und wird von Robertson entlang der Linie angespielt. Diese Lösung ist vor allem dann sinnvoll, wenn der rechte Innenverteidiger die Feldmitte hält. Dadurch könnte Jota sofort aufdrehen.
  • Option 2: Wenn der linke Innenverteidiger von United Jota direkt folgt, bietet sich ein Chipball in den Rücken des Rechtsverteidigers an. Der rechte Außenstürmer Salah setzt bereits dynamisch zu einem Laufweg in die Tiefe an.
  • Option 3: Setzt sich der rechte Innenverteidiger von United frühzeitig nach hinten ab, könnte dieser einen Chipball auf Salah erlaufen. Wenn der rechte Innenverteidiger jedoch zu voreilig die Rückwärtsbewegung einleitet, kann Robertson den Mittelstürmer Firmino einsetzen. Dieser könnte aufdrehen und die gegnerische Kette andribbeln.
  • Option 4: Verstellt der ballnahe 6er von United den Passweg auf Firmino, kann Robertson immer noch den 8er Milner in Szene setzen. Dieser könnte beispielsweise einen Schnittstellenpass spielen oder den ballfernen Außenverteidiger Alexander-Arnold einsetzen.

Liverpool mit Überzahl auf der letzten Linie

Robertson hat sich für einen Pass entlang der Linie zu Jota entschieden. Dieser kann den Ball zum Mittelstürmer weiterspielen.

  • Der linke Innenverteidiger schiebt erst mit Zuspiel auf Jota raus. Dadurch hat dieser genug Zeit den Ball weiter auf Firmino zu spielen.
  • Der rechte Innenverteidiger kann Firmino nicht zu einer geschlossenen Annahme zwingen, da dieser sich auch noch um den rechten Stürmer Salah kümmern muss.
  • Firmino kann offen zur Spielrichtung agieren und Liverpool hat mit dem Rechtsverteidiger Alexander-Arnold ein 1-Mann-Überzahl auf der letzten Linie. Wird der nachrückende 8er Keita miteinbezogen, ist es sogar eine 5-gegen-3-Überzahl.

Fazit

Klopp kann ganz offensichtlich auch Spielaufbau auf sehr hohem Niveau. Nicht nur das Erste auch zwei weitere Tore erzielt Liverpool dank eines cleveren Positionsspiels. Am Ende gewinnt Liverpool mit 0:5 gegen Manchester United – auch dank einer genialen Raumaufteilung im Spielaufbau.

Liverpool hat es durch den Torhüter oder den abkippenden 6er Henderson ermöglicht, dass der gegnerische Mittelstürmer Ronaldo kein Zugriff auf die Innenverteidiger hatte. Diese konnten dann wiederum die äußeren Mittelfeldspieler von United binden und somit die Außenverteidiger „freispielen“. Dadurch waren die gegnerischen Außenverteidiger gezwungen, frühzeitig aus der Kette zu rücken. Das Ende dieser Kettenreaktion war, dass Liverpool oftmals eine Überzahl auf der letzten Linie des Gegners hatte und diese weit auseinandergezogen wurde – ideale Voraussetzungen, um den Rücken der Abwehr zu bespielen.

Den Spielaufbau im 4-3-3 System flexibel trainieren

Trainingsübung

Passform (3-4-3) – Gegner im 4-3-3 (Stürmer lenken nach außen)

Trainingshilfen

10 Dummies.

6 Markierungshütchen.

Leibchen in 2 Farben.

1 Großfeldtor.

12-16 Fußbälle.

Organisation

Die Dummies im 4-3-3 aufstellen und das Großfeldtor 20m hinter den letzten Dummies. Für die Übungsdurchführung werden mindesten 14 Spieler und 1 Torhüter benötigt.

Übungsablauf

Spieler A leitet die Übung mit einem Pass auf B ein. Dieser spielt den Ball weiter zu C. Mit dem Pass läuft G Spieler C an. G agiert als passiver Gegenspieler. D setzt sich im Rücken von G nach außen ab und E läuft weiter in den Halbraum. C spielt den Ball weiter zu D oder zu E in die Tiefe.  Wird D angespielt, passt dieser den Ball in die Tiefe zu E. E spielt eine Hereingabe zu F. Dieser muss direkt abschließen. Anschließend wird die Übung über die andere Spielfeldseite durchgeführt. Um gleich im Anschluss mit der anderen Seite starten zu können, wird die Position des Mittelstürmers F doppelt besetzt.

Variation

Mit dem Pass zu C, setzt sich E nach außen ab. D startet in die Tiefe, C spielt den Ball in die Tiefe zu E oder zu D. Wird D angespielt, passt dieser den Ball in die Tiefe zu E.

Coaching-Tipps

C:  Ball mit dem gegnerfernen Fuß verarbeiten und weiterspielen.

E: Parallel zur Kette bewegen, um Tempo aufzunehmen.

Auf Abseits achten.

Variation:

E: Mit dem 1. Kontakt in die offene Stellung kommen.

Die gesamte Trainingsserie „Spielaufbau im 4-3-3 System optimieren“ gibt es hier:

Autor: Luis Österlein