Das Spiel ohne Ball

Wenn der Ball aus dem Mittelfeld in die Spitze gespielt wird, so dass der Stürmer die Chance hat, im 1 gegen 1 auf den Torwart zuzulaufen und einen Treffer zu erzielen, dann sprechen Kommentatoren gern vom tödlichen Pass und einem hervorragenden Auge des kreativen Mittelfeldspielers, der mit einem Pass die ganze gegnerische Defensive ausgehebelt hat – Voraussetzung dafür, ist das richtige Spiel ohne Ball
Keine Frage – diese Bälle zu spielen ist eine Kunst, die nicht allzu viele Fußballer beherrschen. Und doch geht die Kreativität in diesem Moment von dem Stürmer aus, der einen Laufweg wählt, um diesen Pass überhaupt möglich zu machen. Die Idee des Spielzuges stammt immer von dem Spieler, der sich eine Situation vor dem geistigen Auge vorstellt und entsprechend freiläuft, um den dafür nötigen Pass theoretisch möglich zu machen.

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Die Aufgabe des ballführenden Spielers ist es dann, die Idee seines Mitspielers zu erkennen und seine technischen Fähigkeiten einzusetzen, um den Pass tatsächlich zu spielen. Er muss die Idee des kreativen Mitspielers praktisch umsetzen. Das erfordert eine große Übersicht, die wenigen Spielern vorbehalten ist. Sie sind jedoch immer abhängig von dem Spiel ohne Ball seiner Mitspieler. Von den Freilaufbewegungen seiner Kollegen, mit denen sie sich vom Gegenspieler lösen und sich Zeit verschaffen, um einen Pass des Mitspielers anzunehmen und zu verarbeiten.
Der Spieler mit dem Ball am Fuß ist, wie man so schön sagt, die ärmste Sau auf dem Platz, wenn seine Mitspieler ohne Ball ihm keine oder schlechte Angebote zur Spielfortsetzung unterbreiten. Das Spiel ohne Ball ist die Grundvoraussetzung jeder Ballzirkulation und die Basis erfolgreichen Fußballs in Ballbesitz.

Die Packing-Rate

Seit jeher versuchen Datenexperten anhand von Zahlen zu erklären, warum Fußballspiele gewonnen oder verloren werden. Es wird die Verteilung des Ballbesitzes analysiert und die Quote der gewonnenen Zweikämpfe. Es werden die gespielten Pässe gezählt und die Anzahl der gelaufenen Kilometer festgestellt. Eine wirklich zuverlässige Erklärungsvariable für den Ausgang von Fußballspielen allerdings konnte nie so wirklich ausgemacht werden.

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In den letzten Jahren entwickelten Fußballexperten deshalb die Packing Rate als einen neuen Versuch, Erfolg mess- und statistisch erklärbar zu machen. Dieser neue Wert misst die Anzahl der Gegenspieler, die ein Fußballer mit seinen Pässen überspielt. Schlägt also ein Innenverteidiger einen langen Diagonalball auf den linken Außenbahnspieler über fünf Gegenspieler hinweg, beträgt sein Packing-Wert für diese Aktion fünf. Der Pass eines Sechsers in die Spitze könnte je nach Situation etwa zwei oder drei Punkte einbringen. Voraussetzung ist immer, dass der Pass beim Mitspielern ankommt. Umso höher die Packing Rate, umso größer die Erfolgsaussicht im jeweiligen Spiel, davon sind ihre Erfinder überzeugt und werden tatsächlich oft in der Praxis bestätigt.
Im Fokus der Berichterstattung, die die Packing Rate längst aufgegriffen hat, stehen fast ausschließlich die Spieler, die die Pässe spielen und die Punkte einfahren. Auch hier jedoch ist die Voraussetzung für einen solchen Pass das Freilaufverhalten des Spielers, der den Ball bekommen soll. Nur eine gute Bewegung ohne Ball ermöglicht einen Pass in die Tiefe, mit denen Gegenspielerüberspielt werden können.

Mesut Özil – fordert Pässe mit hoher Packing Rate

Ein prominenter Fußballer, der sich besonders gut zwischen den Linien des Gegners bewegt und deshalb immer wieder in gefährlichen Räumen anspielbar ist, ist Mesut Özil. Der deutsche Nationalspieler bemüht sich regelmäßig, auch komplizierte Bälle zu fordern, die ein Überspielen mehrerer Gegenspieler notwendig machen. Er bringt sich damit selbst oft in Situationen, von denen aus gefährliche Angriffe eingeleitet oder finale Bälle gespielt werden können. Es gibt Partien, in denen Özil kaum auffällt, weil er wenige Ballbesitzzeiten erhält. Das liegt oft daran, dass er sich in Räumen zeigt, die schwer anspielbar sind. Kommen die Bälle allerdings in diese Räume, ist er in der Lage, daraus unmittelbar Torgefahr zu entwickeln. Özil fordert seine Mitspieler sozusagen immer wieder auf, ihren eigenen Packing-Wert zu steigern, indem er ihnen die Möglichkeit gibt, Bälle in die Tiefe zu spielen.

Andere Spieler bewegen sich eher in freie Halbräume oder auf die Außenbahn, um Bälle zu erhalten und sind dann oft mehr am Spiel beteiligt, überwinden mit ihrem Spiel oh

ne Ball aber deutlich weniger Gegenspieler. Eine große Anzahl überspielter Gegenspieler, das zeigt die Statistik, erhöht die Wahrscheinlichkeit, ein Spiel zu gewinnen.

Das Spiel ohne Ball erhöht die Anzahl der Möglichkeiten, mit denen der ballführende Spieler die Partie fortsetzen kann. Das macht eine Mannschaft auch für den Gegner deutlich schwerer ausrechenbar.

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Führt beispielsweise ein Innenverteidiger den Ball am Fuß, hat er in der Regel die Möglichkeit, ihn innerhalb der Abwehrkette beispielsweise zu seinem Außenverteidiger weiterzuleiten. Das ist für den Gegner allerdings leicht zu antizipieren und stellt kein Problem dar. Oft kommt ein Sechser als weitere Anspielstation entgegen, auch das ist für die gegnerische Mannschaft noch nicht schwer zu verteidigen. Wenn allerdings auch der zweite Sechser, ein Mittelstürmer und die Außenbahnspieler sich gute ohne Ball bewegen und anspielbar machen, bekommt der Gegner naturgemäß eher Probleme, die eigene Ordnung zu halten und stabil zu stehen. Ohne Frage ist also das Spiel ohne Ball von besonderer Bedeutung im Fußball, um Ballbesitz erfolgreich ausspielen zu können.

Die wichtigste Tugend des Spiels ohne Ball

Welche grundsätzlichen Tugenden und Qualitäten muss ein Spieler nun mitbringen, um das so wichtige Spiel ohne Ball zu verbessern? Zuerst einmal ist es wichtig, dass jeder Spieler so oft wie möglich den Ball haben möchte. Niemand darf Angst davor haben, angespielt zu werden, weil er einen Fehler machen und den Ball verlieren könnte. Jeder soll den Ball fordern und damit Anspielstationen schaffen und den Ball in Bewegung bringen.

Für den Trainer ist es deshalb wichtig, den Spielern die Angst vor dem Fehler zu nehmen. Fehler sind menschlich und passieren auch in der Bundesliga. Sicher tut man gut daran, das Training auch auf der Minimierung der Fehlerquote auszurichten, jedoch müssen die Spieler wissen, dass sie Fehler machen dürfen. Wer viel macht, macht auch Fehler – und ein gutes Spiel ohne Ball bedeutet, viel zu machen. Genauso muss ein Trainer aufpassen, dass innerhalb der Mannschaft kein Klima der Angst vor dem Fehler entsteht.

Im Mannschaftssport Fußball muss das ganze Team gegen den Ball arbeiten, wenn ein einzelner Spieler den Ball verliert. Es ist wichtig, dass die Mannschaft dies bedingungslos tut, dass sie füreinander da ist und gegenseitig Fehler ausbügelt, ohne sich mit Vorwürfen zu überhäufen. Nur wenn Fehler erlaubt sind, gehen Spieler ins Risiko, bewegen sich gut ohne Ball und fordern mutig Zuspiele. Ist das gegeben, gelingen auch Aktionen, die das Selbstvertrauen heben und die Leistung verbessern.

Der Trainer hat also einen erheblichen Anteil daran, dass die wichtigste Tugend des Spiels ohne Ball im Spiel seiner Mannschaft vorhanden ist – nämlich, dass jeder den Ball haben möchte.

Läuferische und taktische Qualitäten

Mit der notwendigen Bereitschaft als Grundtugend kommen nun individuelle Qualitäten zum Tragen, wenn es darum geht, das Spiel ohne Ball zu verbessern. Wichtig ist hierbei zuerst die läuferische Komponente. Das Spiel ohne Ball besteht vor allem aus Freilaufen und erfordert entsprechend eine gute Kondition der Spieler. In eigenen Ballbesitz müssen sie viel unterwegs sein, um dem ballbesitzenden Mitspieler Angebote zu unterbreiten. Sobald man merkt, dass man nicht anspielbar ist, weil der Passweg durch einen Gegenspieler verstellt ist, muss man sich aus diesem Deckungschatten herausbewegen, um anspielbar zu sein.

Als Deckungsschatten bezeichnet man den Raum hinter einem Gegenspieler, den der ballführende Mitspieler nicht anspielen kann, weil sein Pass von jenem Gegenspieler abgefangen würde. Ein Spieler, der sich im Deckungsschatten befindet, nimmt in diesem Moment folglich nicht am Spiel teil und muss sich in einem anderen Raum anbieten.

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Dieser hohe Laufaufwand wird nicht immer unmittelbar belohnt, weil er nicht automatisch dazu führt, dass der Ball tatsächlich gespielt wird. Oft laufen Spieler scheinbar umsonst. Das stimmt jedoch erstens nur zum Teil, denn auch mit Bewegungen, die nicht unmittelbar zu einem Anspiel führen, nötigt man den Gegner dazu, zu verschieben, um einen neuen Deckungsschatten herzustellen und reißt so möglicherweise Lücken für den Mitspieler. Zweitens mag man zehnmal laufen, ohne den Ball zu bekommen – beim elften Mal erhält man ihn und kann möglicherweise ein Tor erzielen oder vorbereiten.

Diese Floskel enthält viel Wahrheit, eine Mannschaft sollte immer versuchen, sich möglichst viel ohne Ball zu bewegen.

Antizipation – das geflügelte Wort

Sozialverhalten

Fußball wird mit den Füßen gespielt, doch auch der Kopf spielt eine außerordentliche Rolle. Nicht nur auf mentaler Ebene – Fußball erfordert wie beschrieben Mut statt Angst – sondern auch bezüglich des Spielverständnisses. Im Fachjargon wird in diesem Zusammenhang oft von Antizipieren gesprochen. Das bedeutet so viel wie eine Situation vorhersehen, beispielsweise einen Spielzug zu erahnen. In der Defensive wirkt sich eine gut

e Antizipationsfähigkeit auf das Stellungsspiel aus, gute Sechser beispielsweise müssen nicht die größten Zweikämpfer sein, wenn sie Pässe des Gegners antizipieren und abfangen.

In eigenem Ballbesitz bedeutet Antizipieren vor allem vorauszuahnen, wo der Ball in einigen Augenblicken hinkommen könnte. Das Spiel ohne Ball bezieht sich nicht ausschließlich darauf, den nächsten Ball zu bekommen wie im Bambini-Bereich, wo alle Spieler wie im Knäuel auf engstem Raum über den Platz laufen. Auch der übernächste und überübernächste Pass braucht einen Abnehmer. Hervorragende Spieler denken immer schon einen Schritt weiter, sehen, wo sich Mitspieler für ein Anspiel anbieten und bringen sich bereits in Position, um diesem Spieler, der als nächstes in Ballbesitz kommen könnte, bereits das nächste Angebot zur Spielfortsetzung zu unterbreiten.

Spieler ohne Ball werden zu Spielern mit Ball

Der große Vorteil von Spielern, die das Spiel ohne Ball verinnerlicht haben, liegt ausgerechnet darin, dass sie den Ball sehr oft erhalten werden. Wer dagegen das Spiel ohne Ball nicht beherrscht, wird immer wieder im Deckungsschatten verschwinden und nur dann angespielt werden, wenn er sich in für den Gegner ungefährlichen Räumen befindet. Gerade in der Nähe des gegnerischen Strafraums ist es allerdings wichtig, das Spiel ohne Ball zu verstehen, um auch mit Ball am Spiel teilzunehmen. Nur wer sich anspielbar macht, kann auch angespielt werden.
Dazu sind oftmals gar keine allzu weiten Läufe möglich. Häufig reichen drei, vier Schritte, um sich im richtigen Moment vom Gegner abzusetzen und so anspielbar zu sein, dass man auch die Möglichkeit hat, den Ball sauber zu verarbeiten. Ein schneller Richtungswechsel, ein kurzer Antritt sind vor allem in engen Spielsituationen ausschlaggebend, um Raum zu gewinnen.

Wichtig ist, dass man es dem Gegner so schwer wie möglich macht, die eigenen Aktionen zu antizipieren. Ein Stürmer, der seinem Mittelfeldspieler immer nur entgegentrabt, ist leicht zu verteidigen, einer, der auch mal ein Entgegenkommen andeutet, um dann doch ruckartig in die Tiefe zu gehen schon viel schwerer.

Das Spiel ohne Ball im Training

Im Wettkampf ist das Spiel ohne Ball in den Köpfen der Spieler manchmal komplizierter, als es sein müsste, weil zwei Tore am Spielfeldrand stehen, in deren Richtung angegriffen oder verteidigt werden muss.
Um einer Mannschaft das Spiel ohne Ball näherzubringen, kann deshalb Decken-Freilaufen ohne Tore gespielt werden.

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Dabei spielen zwei Mannschaften gegeneinander, die sich in einem festgelegten Spielfeld jeweils den Ball zuspielen müssen, ohne Tore zu erzielen. Gezählt wird lediglich die Anzahl der Zuspiele, die ohne Unterbrechung des Gegners am Stück durchgeführt werden. Es gewinnt die Mannschaft mit den meisten Zuspielen.

In weiteren Spielformen, die auch auf Tore durchgeführt werden können – schließlich soll auch am Wochenende nicht nur fröhlich kombiniert, sondern auch mit Zug zum Tor Fußball gespielt werden – sollten auch Beschränkungen der Ballkontakte vorgenommen werden. Beispielsweise darf jeder Spieler den Ball nur zweimal berühren, hat also einen Kontakt zur Annahme und einen weiteren zum Pass zur Verfügung. Dieser Druck erfordert viel Bewegung der Mitspieler, die sich immer sofort in eine anspielbare Position bringen müssen, wenn ein Akteur den Ball erhält, weil dieser nicht dribbeln und das Spiel so verlangsamen kann.

Natürlich kann auch das klassische Decken-Freilaufen mit einer Kontaktbeschränkung gespielt werden. Umso weniger Kontakte erlaubt sind, umso schwieriger ist das Spiel und umso mehr Laufaufwand und vorausschauendes Anbieten erfordert es. Zur Unterstützung können um das Spielfeld herum weitere Akteure positioniert werden, die als Anspielstation mitgenommen werden dürfen und somit eine Überzahl herstellen. Sie dürfen jedoch nicht ins Spielfeld hineintreten und nur direkt spielen. Erschweren kann man das noch, indem man den Außenspielern verbietet, zu demjenigen zurückzuspielen, von dem er den Ball bekommen hat. Damit trainiert man die Antizipationsfähigkeit der anderen Spieler, die sich schon für einen Pass anbieten müssen, wenn der Außenspieler von einem Dritten angespielt wird.

Auch feste Kombinationsabläufe können ins Training eingebaut werden, um das Gefühl für das richtige Timing der Bewegung zu schulen. Beispielsweise kann ein Sechser aus dem Mittelkreis heraus einen entgegenkommenden Stürmer anspielen, der lässt auf einen weiteren Spieler im Halbraum prallen. Dieser dritte Spieler des Spielzuges fordert den Ball ebenso intensiv, nimmt ihn einmal mit und spielt ihn dann verdeckt auf die Außenbahn, auf der ein vierter Spieler im richtigen Moment überläuft, um nicht im Abseits zu stehen. Der Stürmer und der Halbfeldspieler laufen dann in den Strafraum ein, um die Flanke von der Außenbahn zu verwerten.

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Die Trainingsmöglichkeiten des Spiels ohne Ball sind vielfältig, wichtig ist aber immer, die Freude am Ballbesitz zu nutzen und die Spieler zu ermuntern, den Ball bekommen zu wollen.

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